Islam-Wissenschaftler aus Münster zur Erlaubnis für Muezzin-Ruf

Experte Khorchide: Aufruf zum muslimischen Gebet kann Provokation sein

Anzeige

Erstmals ruft der Muezzin am heutigen Freitag an der Ditib-Zentralmoschee in Köln hörbar zum Gebet – sie ist eine der bekanntesten Moscheen Deutschlands. Professor Mouhanad Khorchide, Leiter des Zentrums für Islamische Theologie an der Universität Münster, sieht das nicht uneingeschränkt positiv. Warum, das begründet er gegenüber „Kirche-und-Leben.de“.

Herr Professor Khorchide, heute ertönt erstmals der Muezzin-Ruf von der Ditib-Zentralmoschee in Köln. Wie bewerten Sie diese Entwicklung?

Unsere Gesellschaft ist nicht wirklich dazu bereit, religiösen Bekenntnissen so viel Platz im öffentlichen Raum zu geben. An dieser Stelle muss ich daran erinnern, dass der muslimische Gebetsruf das islamische Glaubensbekenntnis beinhaltet und in seinem Wortlaut Menschen zum islamischen Gebet auffordert. Dies könnte von vielen als Provokation empfunden werden. Hinzu kommt, dass die verantwortliche Institution, Ditib, in der breiten Bevölkerung auf Misstrauen stößt. Das macht den Sachverhalt noch komplexer. Daher finde ich den Zeitpunkt für die Einführung des Gebetsrufs nicht klug gewählt. Auch haben Muslime andere Prioritäten als den Gebetsruf.

Kann über solche Pilotprojekte wie in Köln die gesellschaftliche Akzeptanz von Muezzin-Rufen wachsen?

Zu mehr Akzeptanz des Gebetsrufs gehören mehrere Aspekte. Dazu zählt die Einbindung der Bevölkerung durch intensiven Austausch in kleinen aufklärenden Dialog-Kreisen, Vertrauen zwischen den organisierten muslimischen Institutionen und der Bevölkerung herzustellen – sowie auch Frauen zu erlauben und zu ermutigen, den Gebetsruf zu rezitieren. Das würde Zeichen für eine gleichberechtigte Behandlung von Mann und Frau im Islam setzen.

Was kann die muslimische Gemeinschaft tun, um die diffuse Skepsis gegenüber Muezzin-Rufen in Deutschland abzubauen?

Die muslimischen Gemeinden können hier, bevor über den Gebetsruf gesprochen wird, das Bild eines weltoffenen Islams vermitteln. Sie könnten zur Gleichberechtigung der Geschlechter aufrufen, den Islam als pluralitätsfördernde Religion auffassen und vermitteln, demokratische Grundwerte und Menschenrechte als Teil des islamischen Selbstverständnisses reflektieren und vieles mehr, was für mehr Vertrauen sorgen könnte.

Bei ihrer Skepsis gegenüber einem Muezzin-Ruf verweisen viele Menschen auf die christliche Prägung Deutschlands, wo – allein – das Läuten von Kirchenglocken kulturelle Tradition ist. Inwieweit passt der Muezzin-Ruf in die Gesellschaft?

Diese Frage darf nicht entlang von Identitätspolitik behandelt werden. Wir leben in einer pluralen Gesellschaft, die weder rein christlich noch rein muslimisch oder rein atheistisch, sondern weltanschaulich wie religiös vielfältig ist. Das, was viele irritiert beziehungsweise herausfordert, ist, dass bei dem muslimischen Gebetsruf direkt das islamische Bekenntnis gerufen wird und zum muslimischen Gebet aufgefordert wird.

Anzeige