Journalist Gehlen beim Jahresempfang des Franz-Hitze-Hauses Münster

Experte wirft wenig optimistischen Blick auf Nahen Osten

Wenig Hoffnung auf neue demokratische Entwicklungen in den Ländern der arabischen Welt hat der Journalist Martin Gehlen beim Jahresempfang der Akademie Franz-Hitze-Haus in Münster gemacht.

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Der Aufbruch des Arabischen Frühlings, der vor sieben Jahren die gesamte Welt in seinem Bann zog, ist nach Ansicht von Martin Gehlen untergegangen in einer endlosen Tragödie aus Krieg, Terror und Gewalt: „Alle Aussichten auf mehr Demokratie in der arabischen Ländern Nordafrikas, im Nahen Osten und im Orient sind zerstoben.“

Der langjährige Nahost-Korrespondent für zahlreiche Zeitungen in Deutschland, Österreich und der Schweiz sprach am Dienstagabend vor mehr als 200 Gästen beim Jahresempfang der Katholischen Akademie Franz-Hitze-Haus in Münster. Seine Ausführungen machten gleichwohl wenig Mut, was die Entwicklung der arabischen Länder anbelangt. In den letzten Jahren seien Kultur, Geschichte und religiöser Dialog zerstört worden.

 

Beispiellose Spur der Verwüstung

 

„Keine Nation der islamischen Kernregion – mit Ausnahme vielleicht von Tunesien – hat den 2011 erhofften Quantensprung zu mehr Modernität, Freiheit und Pluralität geschafft“, sagte Gehlen. Stattdessen gerate der Nahe Osten in einen Abwärtsstrudel, der unaufhaltsam scheine. „Durch den einstigen Fruchtbaren Halbmond, die Wiege der zivilisierten Menschheit, zieht sich eine beispiellose Spur der Verwüstung“, meinte er zu den Kriegen in Syrien und im Irak.

Laut dem jüngsten UN-Entwicklungsbericht der Arabischen Welt sei die Region seit 1948 Schauplatz von 18 Prozent aller bewaffneten Konflikte, obwohl dort nur fünf Prozent der Weltbevölkerung lebten. Gehlen erläuterte in seinem Vortag die aktuelle politische Lage in der Krisenregion, die Schwierigkeiten, dort als Korrespondent zu arbeiten, und die Auswirkungen der Krisen auf Deutschland und Europa durch die Flüchtlingskrise.

 

Auch Flüchtlingsströme aus Ägypten erwartet

 

Gehlen lebte mit seiner Frau, der Fotografin Katharina Eglau, fast zehn Jahre in Kairo, der 20-Millionen-Metropole am Nil. 2017 zog er nach Tunis, von wo aus er jetzt die 22 Staaten der arabischen Welt bereist. „Es wurde immer schwieriger, aus Kairo zu berichten“, sagte der Korrespondent. Wirtschaftliche und soziale Probleme nähmen in Ägypten zu. Ein Grund dafür sei das jährliche Wachstum der Bevölkerung um zwei Millionen Menschen. „Nur wenige junge Menschen haben eine Perspektive“, sagte Gehlen. Es sei nur noch eine Frage der Zeit, dass auch von dort Flüchtlingsströme einsetzten.

Mit dem Jahresempfang eröffnete das Franz-Hitze-Haus eine Ausstellung mit Fotos von Katharina Eglau. Sie zeigen den kulturellen und religiösen Reichtum der Region, die jahrtausendealte Vielfalt der Kulturen und die Herzlichkeit und Hoffnung der Menschen. Mit ihren Fotos dokumentiert die Fotografin Alltag und Kultur des Orients, Menschen und Landschaften, aber auch die politischen Umwälzungen.

Kein Ereignis der letzten Zeit habe stärker zum Niedergang der nahöstlichen Staatenwelt beigetragen als das 2014 ausgerufene Kalifat der Terrormiliz „Islamischer Staat“. Obwohl die Fanatiker inzwischen militärisch besiegt seien, stehe die arabische Region vor einem beispiellosen Fiasko.

 

Untergang der religiösen Vielfalt

 

„Das jahrtausendealte Menschheitserbe von Gottesglaube und Kulturen, von Gelehrsamkeit und Dialog, von Bräuchen und Festen droht unterzugehen“, sagte der Journalist. Minderheiten wie die Jesiden im Norden des Irak seien vertrieben und massakriert, historische Stätten systematisch demoliert worden. Auch die Lage der Christen sei katastrophal: Im Irak lebten heute nach Verfolgungen und Drangsalierungen nur noch 250.000 Christen. 2003 seien es noch 1,3 Millionen gewesen.

Zur Bewertung der Krise und der politischen Instabilität der arabischen Welt gehöre es, nach den Ursachen zu fragen. „Die Politik der USA, Großbritanniens und anderer europäischer Staaten ist zu hinterfragen. Die Irak-Kriege haben zur Entfremdung der Kulturen beigetragen“, meinte Gehlen.

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