Bibel-Experte Thomas Söding erklärt die Kar- und Ostertage

Fakten-Check Karfreitag: Wie war das damals wirklich?

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In der Karwoche gedenken Christen des Leidens, Sterbens und der Auferstehung Jesu. Die Bibel erzählt das Geschehen und deutet es zugleich. Aber was ist damals wirklich geschehen? Antworten von Bibel-Experte Thomas Söding aus Münster. Im dritten Teil geht es um Karfreitag, an dem Jesus zum Tode verurteilt wird, das Kreuz durch die Straßen Jerusalems trägt, auf dem Golgota-Hügel gekreuzigt wird und stirbt. Das Neue Testament erzählt an diesen Stellen davon: (Mt 27,1-66 / Mk 15,1-47 / Lk 23,1-56 / Joh 18,1-19,42).

Jetzt mal im Ernst: Hat wirklich die Erde gebebt und ist wirklich der Vorhang im Tempel zerrissen, als Jesus starb? Oder warum beschreibt die Bibel das so?

Im Matthäusevangelium ist es besonders krass. Dort gibt es die Apokalypse auf Golgotha. Die Erde bebt, die Gräber öffnen sich, die Toten stehen auf und gehen durch die Straßen. Ein Horrorfilm! Hier ist klar, dass Matthäus ein Gleichnis erzählt. Er selbst war nicht naiv, seine Leserschaft war es auch nicht. Allen war klar, dass erzählerisch ein Bild gemalt wird.

Erst in der Neuzeit wird das naturwissenschaftliche Denken auf die biblischen Texte projiziert und dann entweder deren Historizität verbissen verteidigt oder aber deren Glaubwürdigkeit mit Hohn und Spott bedacht. Auf der einen wie der anderen Seite wird derselbe Fehler gemacht: ein Evangelium wie eine Reportage zu lesen. Tatsächlich aber bewegen sich die neutestamentlichen Texte in den Bahnen antiker Biographie. Deshalb wurde erwartet, dass sie zwar eine klare Faktenbasis haben, aber auch den Geist des Geschehens zum Ausdruck bringen.

 

Ein erschütterndes Ereignis

 

So macht es Matthäus. Die Kreuzigung Jesu ist ein erschütterndes Ereignis. Sie geht die ganze Welt an. Sie begründet im Tod des Einen das Leben der Vielen. Sie nimmt das Jüngste Gericht vorweg und öffnet es für das ewige Leben. Frühere Generationen haben das leichter verstanden als die Angehörigen der „Moderne“.
Erst heute, im digitalen Zeitalter virtueller Präsenz und symbolischer Repräsentanz, ist die Erzählweise wieder besser zugänglich.

Ähnlich ist es mit anderen Symbolen: Die Sonnenfinsternis – jeder versteht das Bild der neunten Stunde. Gottesfinsternis wird offenbar, wenn Gottes Sohn stirbt, ein unschuldiges Opfer korrupter Justiz. Es gibt das Morgenlicht des Ostertages nicht ohne die Dunkelheit von Golgotha – und umgekehrt zeigt sich die Finsternis über dem Kreuz Jesu in ihrer ganzen Schwärze erst im Licht der Auferstehung: keine „gerechte Strafe“, sondern schreiendes Unrecht, keine Exekution des heiligen Willens Gottes, sondern schreiender Widerspruch zu Gottes Heilsplan, kein abschreckendes Beispiel, sondern ein paradoxes Vorbild.

 

Was bedeutet der zerrissene Tempel-Vorhang?

 

Was hingegen das Zerreißen des Tempelvorhanges symbolisch bedeutet, ist äußerst strittig: Soll das Ende des Opfers, des Tempels, des Judentums symbolisiert werden? Das würde der Heilssendung des Juden Jesus zugunsten Israels und der Völker entsprechen. Soll das Allerheiligste, das vom Tempel verhüllt wird, nun in alle Welt ausstrahlen? Dann würde das Elend von Golgotha überspielt.

Das Aufreißen des Vorhanges ist in der Symbolwelt des Evangeliums ein Handeln des heiligen Gottes, der eine neue Verbindung stiftet: Das Kreuz, äußers­te Profanität, wird geheiligt; das Allerheiligste, in eine geheimnisvolle Unsichtbarkeit getaucht, wird im Tod Jesu offenbar. Er bringt die Versöhnung – nicht Gottes mit den Menschen, sondern der Menschen mit Gott, weil Jesus sich mit allen Opfern dieser Welt solidarisiert, um ihren Tod zu sterben, auf dass sie leben können.

 

Römische Lehrbücher zitieren die Bibel

 

Aber bei all diesen spektakulären Begleitphänomenen darf das eigentliche Geschehen nicht vergessen werden: die Kreuzigung Jesu selbst, die in großer Nüchternheit, in geradezu quälender Genauigkeit erzählt wird – bis an die Schmerzgrenze und über sie hinaus. Die Evangelien werden in Lehrbüchern des römischen Rechts zitiert, weil in keinem anderen antiken Werk die grausamste Hinrichtungsart, die sich Menschen ausgedacht haben, so detailliert beschrieben wird.

Die spätere Frömmigkeit hat den Kreuzweg Jesu ausgemalt, von den Evangelien angestoßen, aber weit über sie hinaus. Die Passionsgeschichten selbst – am Palmsonntag und am Karfreitag gelesen oder gesungen – dienen der Konzentration. Die Musik unterstreicht es – ganz besonders intensiv bei Johann Sebastian Bach.

Zur Person
Der Theologe Thomas Söding befasst sich als Professor an der Katholisch-Theologischen Fakultät der Ruhr-Universität Bochum mit Themen neutestamentlicher Exegese und Theologie. Seine zentralen Forschungsgebiete liegen bei Markus, Paulus und Johannes. Söding ist Mitglied des Zentralkomitees der Deutschen Katholiken und Teilnehmer des Synodalen Wegs. Er lebt in Münster.

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