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Das Nein des Papstes zum Rücktrittsangebot des Hamburger Erzbischofs Stefan Heße hat in deutschen wie ausländischen Medien zahlreiche Reaktionen hervorgerufen - die Grundstimmung ist negativ. Spekuliert wird dabei auch über mögliche Folgen für den Kölner Kardinal Rainer Maria Woelki.
Die "Süddeutsche Zeitung" sieht "eine misstrauensbildende Maßnahme". Dem Vertrauen der Katholiken in ihre Kirche habe zuletzt nichts mehr geschadet als die sexuellen Missbrauchsfälle. "Und wenn der Vatikan auch inbrünstig verspricht, er werde diese Schande ganz und gar aufarbeiten und nichts mehr dulden, kommt regelmäßig der Verdacht auf, dass er es vielleicht gar nicht so ernst meint damit." Jetzt sei es wieder so.
Die "Frankfurter Allgemeine Zeitung" kommentiert, Franziskus hätte in der Tat "ein Problem, würde er auch nur moralische und rechtliche Mindeststandards an das Handeln von Amtsträgern gegenüber Beschuldigten und Betroffenen anlegen - von Maßstäben wie guter Amtsführung gar nicht erst zu reden. Dann nämlich müsste er viele Bischofsstühle überall auf der Welt umgehend neu besetzen. Dass er davor zurückscheut, ist verständlich, zumal er bei sich selbst anfangen müsste." So bleibe es dabei, dass ein Bischof wohl selbst sexuell gewalttätig geworden sein müsse, um als untragbar zu gelten.
"Das System versagt erneut"
Die "Passauer Neue Presse" findet, das "Urteil irritiert viele Gläubige". Irritierend sei vor allem die Begründung: "Das Grundproblem habe im größeren Kontext der Verwaltung der Erzdiözese Köln, Heßes früherer Wirkungsstätte, bestanden, im Mangel an Aufmerksamkeit und Sensibilität den Missbrauchsopfern gegenüber. Klingt wie: Kann man nichts machen."
Die "Neue Osnabrücker Zeitung" meint: "Das System versagt erneut." In Führungsfragen zeige sich die Kirche plötzlich ganz weltlich. "Nach dem Vorbild von Topmanagern und Politikern, die sich auch nach ernsten Verfehlungen an ihr Amt klammern, sitzen Bischöfe wie Heße Probleme einfach aus. Die Zahl der Kirchenaustritte dürfte weiter steigen."
Druck auf Kardinal Woelki wächst
Die "Kölnische Rundschau" kommt zu dem Schluss: Der Papst "würdigt die demütige Einsicht von Erzbischof Stefan Heße und lässt den zerknirschten Geistlichen im Amt. Welchen deutschen Bischof könnte er nach diesen Maßstäben noch ablösen?" Und weiter: "Als Unterstützung für Woelkis Kurs des harten Durchgreifens wird man die Erklärung des Heiligen Stuhls in Köln kaum lesen." Franziskus' Entscheidung sei eine Zumutung für alle Beteiligten. Zum Fall Woelki äußerte sich auch der Münsteraner Kirchenrechtler Thomas Schüller.
Der konservativ-katholische spanischsprachige Blog "secretum meum mihi" schreibt, die Entwicklungen um Heße "erhöhen klar den Druck auf Kardinal Woelki, damit er zurücktritt (...). Denn Woelki hat nie seinen Rücktritt angeboten. Heße hat dies getan, und das hält ihm der Vatikan zugute - und mithin wird im Umkehrschluss genau das für Woelki belastend."
Kluft zwischen Kirche und Missbrauchsopfern wächst
Das unter anderen von Herz-Jesu-Priestern betriebene italienische Portal "Settimans News" erwartet in Deutschland "eine breite und kontroverse Debatte", und zwar "besonders im Hinblick auf die persönliche Verantwortlichkeit von Bischöfen bei Missbrauchsfällen in Ortskirchen. Vor allem bei den Opfern könnte der Eindruck entstehen, dass letztlich niemand wirklich verantwortlich ist", heißt es.
Andererseits sei Franziskus' Entscheidung eine Art "j'accuse" an das gesamte Verwaltungs- und Seelsorge-System der Diözesankurien - "eine Betrachtung des Missbrauchs als Systemsünde der Kirche". So laufe Franziskus nun Gefahr, "die Kluft" zwischen sich, "der Kirche und den Missbrauchsopfern (wohl bewusst) zu vertiefen, damit aus der Erfahrung heraus Prozesse der radikalen Umgestaltung der Strukturen der Kirche und der Arbeitsweise der Bischöfe beginnen können".
Einer am Mittwoch veröffentlichten Entscheidung von Franziskus zufolge bleibt Heße trotz Pflichtverletzungen im Amt. Nach Vorstellung eines juristischen Gutachtens hatte Heße Mitte März seinen Rücktritt angeboten und die Amtsgeschäfte ruhen lassen. Die Untersuchung der Kölner Kanzlei Gercke Wollschläger wirft ihm elf Pflichtverletzungen im Umgang mit Fällen von sexualisierter Gewalt in seiner Kölner Zeit vor.