„Die bittere Bedeutung des Worts Flüchtling“

Fastenaktion des katholischen Hilfswerks Misereor ist für den Libanon

Am Sonntag ist die Fastenaktion des katholischen Hilfswerks Misereor mit dem Schwerpunktland Libanon gestartet. Wie Projekte unterstützt werden, zeigt dieses Beispiel aus dem armenischen Teil Beiruts.

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Stromkabel bilden ein beinahe abstraktes Kunstwerk über der engen Straße unweit des Beirut-Flusses. In Kontrast zu dem Wirrwarr markieren ordentlich aufgereihte Kinderwagen den Eingang des „Howard Karagheusian Center“ im Beiruter armenischen Vorort Burj Hammud. „Wir haben eine Politik der offenen Tür“, sagt der Direktor der Einrichtung, Serop Ohanian.

Jährlich rund 55.000 Menschen nehmen das breite Angebot des Zentrums wahr. Seit Beginn des Syrienkriegs sind zunehmend Flüchtlinge darunter, viele von ihnen Frauen und Kinder. Die Situation hier im Libanon und in Syrien steht im Mittelpunkt der am Sonntag in Erfurt eröffneten Fastenaktion des katholischen Hilfswerks Misereor.

Impfungen, Windbeutel und Frieden in kleinen Schritten

In der Eingangshalle, die als Wartezimmer für die verschiedenen Fachärzte des Zentrums dient, riecht es nach Chlor, Desinfektionsmitteln und frischem Gebäck. Wenige Meter neben Müttern, die auf Impfungen für ihre Kinder warten, löffeln Flüchtlingsfrauen aus Syrien und Irak Windbeutelteig in große Tüllen. Perfekt wirken die kleinen Kringel, die Chef Jamil Maalouf auf die Backbleche platziert.

Dann ist Elina an der Reihe. „Das ist nicht nur Essen, das ist Kunst. Das kannst du nicht zuhause lernen“, sagt die 2010 aus Aleppo geflohene armenische Christin. Auf ihrem Handy-Display zeigt sie kunstvoll verzierte Torten. „Ich fühle mich durch die Unterstützung hier gestärkt.“ Der Stolz der Armenierin über das Gelernte lässt keinen Zweifel zu.

Englischkurse und Traumatherapie 

Warum er neben seinem Hauptberuf als Chefkoch in einem Fünfsternehotel mehrere Vormittage in der Woche ehrenamtlich in der improvisierten Lehrküche steht, ist für den libanesischen Christen Maalouf schnell erklärt. „Kochen ist Leidenschaft, Helfen auch. Beides musst du in deinem Herzen haben, sonst lässt du es lieber bleiben“. Gleichzeitig gebe ihm der Kochkurs ungeahnte Lernmöglichkeiten. „Nicht nur dafür, wie man traditionelle syrische Süßigkeiten herstellt; die Flüchtlinge lehren mich viel über den Kampf für ein besseres Leben!“

„Als Armenier kennen wir seit mehr als hundert Jahren die bittere Bedeutung des Worts Flüchtling“, erklärt Zentrumsdirektor Ohanian die Hilfsbereitschaft seines Teams. Ursprünglich war medizinische Grundversorgung das wesentliche Standbein im Karagheusian; doch längst sind andere hinzugekommen. Besonders mit der Syrien-Krise sei der Bedarf an Hilfe und Stärkung für Flüchtlinge gestiegen. Berufstrainings, Traumatherapie und Sensibilisierungsklassen für Frauen sind heute ebenso Teil des Zentrums wie Sprachkurse, Hausbesuche, Lernhilfe und Sommerlager für Kinder.

Angebote sind für Einheimische und Flüchtlinge zusammen

Während die Windbeutel im Werden die Luft im Wartezimmer versüßen, drängen sich eine Etage höher motivierte junge Männer und Frauen zum Englischkurs in einen viel zu kleinen Raum. Die Frauengruppe, die sich an diesem Tagzusammen mit einer Sozialarbeiterin mit positiver Erziehung auseinandersetzen, muss auf die Aula der benachbarten Schule ausweichen. Was für das Zentrum wahr ist, gilt erst recht für viele Privatwohnungen in Burj Hammud. Die Gemeinde zählt zu den am dichtest bevölkerten im gesamten Nahen Osten.

Nicht zuletzt deshalb sei die Arbeit des Zentrums so wichtig, glaubt Sozialarbeiterin Raquelle Kejejian. Viele Frauen verlassen selten das Haus, die Kinder können sich wegen der Enge zuhause kaum auf ihre Hausaufgaben konzentrieren. „Wenigstens ein paar Stunden pro Woche aus der Beengtheit ausbrechen zu können, ist für viele Frauen und Kinder eine Erleichterung“, so Kejejian. Die bewusste Entscheidung, in den vielen Programmen Einheimische und Flüchtlinge zu mischen, helfe der Gemeinschaftsentwicklung in dem Vorort. Das von Koch- über Sprachkursen Erlernte wiederum könne den Flüchtlingen auch bei der von vielen erhofften Weiterreise nach Kanada, Australien oder Europa von Nutzen sein.

Syrerin: „Vor vier Jahren kannte ich keinen - heute habe ich viele Freunde“ 

Die Angebote im Karagheusian-Zentrum, da sind sich Team und Teilnehmer einig, haben eine positive Wirkung auf das Leben in Burj Hammud. Oder, wie es Syrerin Madeleine formuliert: „Ich hatte niemanden, als ich vor vier Jahren mit meinen beiden Söhnen im Libanon ankam. Jetzt habe ich eine neue Familie mit vielen Schwestern und Freunden.“ 

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