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Mit einem bewegenden Gottesdienst hat das Bistum Münster seinen Bischof Felix Genn nach 16 Jahren in den Ruhestand verabschiedet. Mit Fotostrecke.
Und dann ist die Geburtstagsfeier zum 75. doch das geworden, was der Jubilar selber sich am meisten gewünscht hat: ein Abschied vom Bistum Münster nach fast 16 Jahren in den Ruhestand. Pünktlich um zwölf Uhr am Mittag, nur zwei Stunden vor Beginn des festlichen Gottesdienstes im Paulusdom, hatte der Vatikan bekannt gegeben: Papst Franziskus hat das Rücktrittsgesuch von Felix Genn als Bischof von Münster angenommen. “Als ich ihn darum gebeten habe”, erzählte Genn launig zu Beginn der Liturgie, “sagte er mir: Er wolle das Gesuch studieren. Nun, offenbar hat er es studiert und es mit dem heutigen Tag angenommen.”
Ein wenig hatte es den Anschein, als hätte man sich gewünscht, das Päpstliche Bulletin wäre doch erst veröffentlicht worden, nachdem Nuntius Nikola Eterovic die Entscheidung in Münsters Kathedrale bekannt gegeben hätte. Und ein wenig Unsicherheit herrschte auch: Ab wann gilt das denn nun? “Ab sofort”, sagten die einen, “mit Ablauf des heutigen Tages”, sagten die anderen. Im Hochgebet des großen Dankgottesdienstes jedenfalls sprach der Kölner Kardinal als Konzelebrant jedenfalls noch für “Bischof Felix”. Ab morgen definitiv ist der Bischofsstuhl von Münster vakant.
Felix Genn: Freude und Erleichterung
Für die meisten im Dom dürfte das unwesentlich gewesen sein. Die Festmesse begann bei herrlichstem Vorfrühlingswetter, und als Felix Genn nun zum letzten Mal als Bischof durch die gut besetzten Reihen einzog, da strahlten Freude und Erleichterung nur so aus seinen Augen. Lächelnd und frohen Herzens segnend ging er vom Bischofshaus bis zum Bischofsstuhl im Dom, begleitet von den Domvikaren, dem Domkapitel, den Weihbischöfen, Bischof Georg Bätzing als Vorsitzendem der Deutschen Bischofskonferenz und dem Kölner Metropoliten, Kardinal Rainer Woelki. Mit dabei: alle priesterlichen Sekretäre, die Bischof Genn in den letzten Jahren begleiteten.
Von oben läuteten alle Glocken, wehten die Fahnen von den Türmen des Paulusdoms, drinnen erwartete eine festlich geschmückte Kathedrale - mit vielen entzündeten Kerzen rund im Engelschor und auf dem Rundleuchter, freundlichem Blumenschmuck in den rot-gelben Bistumsfarben und einem mächtigen Zuversichts-Gesang der Gemeinde: “Wer unterm Schutz des Höchsten steht.” Dieses Lied, erzählte Genn ganz am Schluss der Feier, sei auch beim Einzug zu seiner Priesterweihe 1976 im Trierer Dom gesungen worden. So rundet sich ein Leben.
Kein Kirchenprunk im Dom
So viele Gläubige auch im Dom waren, so viele Priester vor allem, die kompletten Domkapitel von Münster, Essen und Trier, rund 50 Bischöfe aus Deutschland, den Nachbarländern bis in die sechs Partnerbistümer in Ghana und Mexiko, überdies Prominente aus Politik und Gesellschaft, so festlich zudem Gewänder, Raum und Musik waren: Dies war kein selbstvergessener Kirchenprunk, in dessen Zentrum sich ein kirchlicher Würdenträger feiern ließ. Die benachbarte Lambertikirche, in die der Gottesdienst in Erwartung weit mehr Mitfeiernder auch übertragen wurde, war sogar nahezu leer. Nein, der Gottesdienst im Paulusdom war geprägt von fast intimer persönlicher Verbundenheit, von tiefer Dankbarkeit, vom bewegenden Erlebnis eines gemeinsam bergenden und gefeierten Glaubens - und von sehr nachdenklichen Tönen des Jubilars selber.
Ganz egal, was der äußere Anlass dieses Gottesdienstes war - Genn predigte so, wie er immer predigt: ausgehend von jenen biblischen Texten, die von der Liturgie für diesen ersten Fastensonntag vorgesehen waren. Schwere Texte, wie er selber zu Beginn bekannte. Launig erzählte er, wie dankbar er als Priester immer gewesen sei, dass ja meist am ersten Fastensonntag der Fastenhirtenbrief des Bischofs zu verlesen war, sodass er um eine Predigt zu diesen Texten herumgekommen sei: im Mittelpunkt das Evangelium von der Versuchung Jesu durch den Teufel in der Wüste.
Selbstkritische Predigt von Felix Genn
“Muss das unbedingt sein?”, fragt Genn, “muss der Geist ihn da hinführen, aus der Fülle in die Leere?” Der Bischof bezieht diese Frage schnell nicht nur auf Jesus, sondern auf die Kirche, “die manche Wüstenwanderung im Laufe ihrer Geschichte auf sich genommen hat”. Er spricht von der Erfahrung der Grundbedürfnisse des Menschen nach Auskommen, Macht, Ansehen und Bewunderung, Annahme und Akzeptanz - und wie sehr all das “umkippen kann in den reinen Egotrip”.
Genn überträgt diese Versuchungen auch auf die Kirche, nach allem dem vielen Steinigen dieser Wüstenzeit, auch nach der “Wüstenerfahrung” des Missbrauchsskandals. Und er benennt die Versuchung heute, “doch als Kirche wieder gut dazustehen, endlich schmackhafte Erfahrungen zu machen, damit uns die Welt und viele Menschen nicht mit Misstrauen begegnen”. Und der Bischof fragt selbstkritisch: “Wollen wir nicht so schnell wie möglich aus dieser Krise herausfinden, um wieder neu angefragt zu sein, vielleicht auch bewundert zu werden angesichts auch all des anderen, was wir als Kirche vermögen für die Welt und die Gesellschaft?” Die Frage der Prioritäten - eine Frage des Glaubens. Im Dom ist es mucksmäuschen still.
Der Trick der Herrscher
Der Bischof belässt es nicht dabei, die Versuchung gehe “noch tiefer”, sagt er und nennt sie das “Misstrauen Gott gegenüber, ob er uns vielleicht verlassen hat? Ob er tatsächlich derjenige ist, der die Welt retten kann?” Anders gefragt: “Trauen wir ihm wirklich zu, auch heute aus dem Toten Leben zu erwecken?” Und erneut mahnt er: “Wie sehr ist in der Geschichte die Kirche der Versuchung erlegen, sich alle Reiche der Welt untertan zu machen!" Das ist keine Frage der Vergangenheit: “Wie oft denken auch wir, dass wir die Kirche machen können?” Die Frage nach der Demut - eine Frage des Glaubens.
Und die ärgste Versuchung sei: Gott “für die eigenen Zwecke zu verwenden”. Mit diesem Trick hätten es die Herrscher immer schon versucht - “bis zur Stunde”, sagt Genn und meint, ohne sie zu nennen, wohl jene Staatenführer, die gerade in den USA und in Russland die Schlagzeilen bestimmen. Er meint aber auch die Kirche und alle einzelnen Glaubenden. - Die Frage der Macht - eine Frage des Glaubens.
Bußpredigt und gefüllte Körbe
Genn löst all diese fundamentalen Versuchungen, diese Schuldgeschichten in seiner Abschiedspredigt nicht auf. Insofern ist seine letzte große Ansprache als Bischof eher eine Bußpredigt, eine Gewissenserforschung, nicht ohne Grund in jenem dunkelvioletten Gewand der Bußzeit, das er schon zu seiner Amtseinführung 2009 trug. Er ruft viel mehr zum Bekenntnis dieses Gottes auf - im Glauben an ihn in aller Schwachheit und darin, “die Wunden der Menschheit nicht zu übersehen”, die Armut, die Bedürftigkeit.
Am Ende seiner Predigt steht das Bekenntnis eines scheidenden Bischofs, ein Genn-Bekenntnis der Zuversicht: “Der Weg durch die Wüste schenkt Leben und Auferstehung, gefüllte Körbe, auch wenn sie im Augenblick nicht zu entdecken sind”. Es dauert einen langen Moment, bis sich aus der Stille allmählich ein bewegter Applaus erhebt.
Genn und die Musik
Und dann geht alles seinen gewohnten, bewährten Gang: Der Bischof feiert Eucharistie mit den Menschen, die nicht einfach nur ihm, sondern in der Gemeinschaft als Glaubende einander und Gott verbunden sind. Begleitet von zu Herzen gehender Musik der diversen Domchöre unter der Leitung von Domkapellmeister Alexander Lauer und Domkantorin Verena Schürmann, von Domorganist Thomas Schmitz, Orchester und Solisten. Zeitgenössische Komponisten erklingen da ebenso wie Felix Mendelssohn-Bartholdy, Franz Schubert und Wolfgang Amadeus Mozart. Am Ende der Messe dankt Genn nicht ohne Grund hörbar bewegt den Musikerinnen und Musikern: “Es ist so schön, dass ich das weiterhin erfahren darf.”
Große Reden sollte es nicht geben, und so sind jene, die dann vor dem Segen doch im Dom sprechen dürfen, von besonderer Bedeutung. Georg Bätzing, Bischof von Limburg, macht den Anfang als Vorsitzender der Bischofskonferenz und lässt das vorbereitete Manuskript einfach liegen. Er bekennt freimütig, tatsächlich aufgeregt zu sein. Denn nie habe er vor 45 Jahren gedacht, dass er und Genn einmal in dieser Situation stehen würden. Bätzing, wie Genn aus dem Bistum Trier stammend, erzählt von seiner ersten Begegnung mit ihm. Er war 18, Genn gerade 30. Bätzing interessierte sich für den Priesterberuf und sei in Genn auf einen Spiritual getroffen, der “humorvoll, zugewandt, interessiert, klug und geistlich” gewesen sei. Das sei er bis heute geblieben, davon kündeten etwa die vielen Beiträge in der Sonderbeilage von “Kirche+Leben” aus Anlass des Bischofsgeburtstags.
Bätzing: Genn war prägende Gestalt
Bätzing würdigt Genn als “leise, klar und hell”. Die wichtigen Dinge geschähen eben nicht auf der lauten Bühne der Weltgeschichte. Klarheit angesichts der vielen Probleme werde gefunden, wenn sie “erst einmal durchbetet, mit Gott beredet" seien: “Sprechen und hören - und wieder sprechen und hören, bis wir zur Klärung kommen. So werden Entscheidungen gut." Er danke Genn, das auch in der Bischofskonferenz immer wieder angemahnt zu haben. Gleichwohl habe Münsters Bischof “viele dunkle Stunden erlebt”, nicht zuletzt durch den Missbrauchsskandal, der Genn manche Nacht gekostet habe. Doch er bleibe dabei nicht stehen: “Immer wenn du das Wort erhebst, weiß ich, dass aus dem Zusammenspiel von Vernunft, Theologie und Erfahrung etwas Helles für die Zukunft erwächst.” Nach einem Vierteljahrhundert bischöflichen Dienstes sei Felix Genn “eine prägende Gestalt des Katholizismus in unserem Land”.
Anschließend kommen Vertreterinnen und Vertreter von Diözesankomitee und Diözesanrat zu Wort. Brigitte Lehmann spricht für die Laien und Verbände von der Fähigkeit Genns, “Zwischentöne wahrzunehmen” und überhaupt ein “sehr guter Zuhörer” zu sein: “Wir fühlten uns von ihnen immer sehr wertgeschätzt.” Zudem habe er “sich nie den Zeichen der Zeit verschlossen und notwendige Transformationen angestoßen und mitgetragen.”
Missbrauch und ein Gebet
Diözesanrats-Moderator Frank Möllmann würdigt Genns Lernfähigkeit - nicht zuletzt durch Berichte und Erfahrungen der von Missbrauch Betroffenen. Der Bischof habe erkannt, dass “der Missbrauch auch strukturelle, systemische Ursachen hat”, dass Aufklärung und Vertrauensarbeit “Schlüsselaufgaben” für die Kirche seien. Möllmann lobt die wertschätzende Zusammenarbeit bei allen pastoralen Veränderungen, die in einem synodalen Beratungsprozess gestaltet worden seien. Seine Kollegin Jutta Rademacher erinnert an Genns Aussagen im großen Kirche+Leben-Geburtstagsinterview, er habe alles und wolle zum Geburtstag keine Geschenke. Daher wolle sie ihm ein Segensgebet zusprechen.
Vom Priesterrat dankt dessen Moderator Jürgen Quante für die Verbundenheit des Bischofs mit den Priestern, nicht zuletzt angesichts des “dramatischen Glaubwürdigkeitsverlusts”, den sie mit dem Missbrauchsskandal erlebten. Genn habe zudem an der Erneuerung der Kirche engagiert mitgewirkt und immer wieder vermocht, “den Ihnen Anvertrauten Mut zu machen”. Quante dankt für alle geistliche Begleitung und Leitung. Die Priester wünschten sich, “dass der emeritierte Bischof weiter für uns und mit uns betet.”
Der letzte Satz: Zuversicht
Von allen Grußworten zeigte sich der Bischof sichtlich bewegt - und auch die Menschen im Dom ließen sich von ihnen anrühren und belohnten sie alle mit anhaltendem Applaus. Schließlich dankte Genn selber seinerseits, allen im Dom, den Mitwirkenden, nicht zuletzt seinen Generalvikaren und Bischofskaplänen, den persönlichen Hilfen in Haushalt, Büro und unterwegs im Auto. “Ich kann das gar nicht genug in Worte fassen”, sagte er, “darum mache ich es mit dem einfachen Wort: Vergelt's Gott.”
Und dann zogen sie aus dem vollen Dom, begleitet von mächtigen Sonnenbalken in den großen Weihrauchschwaden und rauschendem Orgelspiel. Ganz am Ende Felix Genn, mit einem breiten Lächeln im Gesicht und segnend. Zum letzten Mal als Bischof von Münster - und ausstrahlend, womit er seine Abschiedspredigt endete: “Aus dieser Zuversicht gehe ich mit Ihnen allen weiter.”