Großes Kirche+Leben-Interview mit der Theologie-Professorin aus Münster

Frauen als Priesterinnen: Welche Chance hat das noch, Dorothea Sattler?

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Beim Synodalen Weg ein großes Thema, bei der Weltsynode ausgeklammert: Frauen als Priesterinnen. Warum die Münsteraner Theologieprofessorin Dorothea Sattler nicht aufgibt, sagt sie im großen Kirche+Leben-Interview.

Frau Sattler, wollen Sie eigentlich selber Priesterin werden?

Ich empfinde mein Lebensalter so, dass ich angesichts auch meiner erworbenen Kenntnisse für andere Dinge berufen bin. Wenn ich noch jünger wäre, wäre ich sehr offen für diese Frage, weil ich mir die Aufgaben im priesterlichen Dienst zutraue und auch gern erfüllen wollte.

Das heißt, früher hatten Sie diese Idee nicht?

In dieser Offenheit hat sich mir die Frage nicht gestellt. Aber ich wollte immer das Evangelium verkündigen – zunächst in der Schule, geworden ist es dann die universitäre Lehre. Ich komme aus einer Pfarrgemeinde, in der ich nicht einmal Messdienerin werden durfte, sodass ich die Offenheit für Frauen im priesterlichen Amt nicht erlebt habe. Heute ist die Frage aber bei den jungen Leuten lebendig im Bewusstsein.

Sie sind viel im ökumenischen Dialog unterwegs, erleben dort Frauen als selbstverständliche Amtsträgerinnen. Wie fühlen Sie sich da als katholische Frau, der dies verwehrt ist?

Ich habe im Lauf meines Lebens gelernt, mich zu freuen mit den Möglichkeiten anderer Menschen, die mir jedoch verschlossen geblieben sind. Das betrifft beispielsweise auch die Mutterschaft. Ich freue mich daher auch am Dienst evangelischer Frauen und betrachte das als große Ermutigung für meinen eigenen Dienst. Ich nehme deutlich wahr, dass evangelische Frauen entsprechende Gaben und Charismen haben.

Kritiker sagen, Jesus war ein Mann, die zwölf Apostel waren Männer. Darum kann nur ein Mann Priester werden. Das klingt bestechend logisch …

Dass Jesus ein Mann war, lässt sich kaum bestreiten. Es war sehr klug in der göttlichen Vorsehung, im damaligen jüdischen Kontext als Mann Mensch zu werden. Aber die Tatsache, dass wir durch die Menschwerdung Gottes erlöst sind, ist nicht gebunden an das natürliche Geschlecht. Dass die Apostel im Jüngerkreis zwölf waren, hat natürlich mit der Repräsentation der zwölf Stämme Israels zu tun, und da sind im damaligen jüdischen Kontext nur Männer als Repräsentationsfiguren denkbar. Mehr kann man daraus aber auch nicht schließen.

Lange hieß es, die Kirche habe keine Macht zu entscheiden, ob Frauen Priesterinnen werden können. Was sagen Sie?

Die Macht darüber hat Gott. Ich habe beim Synodalen Weg mehrfach gesagt: Ihr müsst euch verantworten vor Gott. Die menschliche, die irdische Macht hat die Kirche, und sie übt sie auch aus. Dann muss sie sich aber sicher sein, dass sie den Willen Gottes erfüllt. Daran habe ich Zweifel. Gott liegt daran, dass das Evangelium verkündigt wird – mit den Gaben, die auch Frauen haben. Es braucht eine kritische Reflexion auf die Ausübung der weltlichen und menschlichen Macht vor Gott.

Vor allem Männer in der katholischen Kirche sagen, es sei keine Diskriminierung von Frauen, dass sie nicht Priesterin werden können. Gesellschaftlich dürfte das schwer zu verstehen sein, wenn eine Aufgabe, ein Beruf nur Männern offensteht. Wie denken Sie über diese Wahrnehmung?

Aus Sicht der kirchlich Verantwortlichen ist es deshalb keine Diskriminierung, weil wir gleichzeitig als Frauen mit hoher Wertschätzung angesichts der uns eigenen Fähigkeiten bedacht werden. Die Frage ist aber, wer die Macht und Hoheit hat, diese Fähigkeiten zu beschreiben, zu erkennen und die Unterscheidungskriterien zu bestimmen. Es wäre hilfreich, daran nicht nur alle zu beteiligen, sondern zu schauen, welche Eigenschaften man überhaupt braucht, um in unserer Zeit sinnvoll das Evangelium zu verkündigen. Wenn doch bestimmte Eigenschaften kirchlich hochgeachtet werden – Dienstbereitschaft, Kommunikationsfähigkeit, Leidensbereitschaft, Geduld – und wenn uns Frauen dies alles eigen sein soll, dann verstehe ich erst recht nicht, warum wir nicht ins Amt können.

Warum ist es Ihnen so wichtig, dass alle geistlichen Ämter für Frauen geöffnet werden?

Ich nehme deutlich wahr, dass auch Frauen – und mir sind in diesem Moment viele vor Augen – Charismen haben, die wir heute bei der Erneuerung der christlichen Mission brauchen. Es ist für die Menschen ein großer Verlust, wenn Kriterien über die Teilhabe an Diensten und Ämtern entscheiden, die nicht der sinnvollen Gestaltung der Evangeliums-Verkündigung dienen, sondern andere Hintergründe haben. Die Stärke des Evangeliums, seine Leuchtkraft, die Mission wird geschwächt, wenn nicht auch Frauen an der amtlichen Verkündigung teilhaben können.

Müssten das unbedingt Priesterinnen sein?

Wir müssen offenkundig zumindest in Europa stärker plausibel machen, was die existenzielle Bedeutung des christlichen Glaubens ist. Dies geschieht gewiss nicht nur in der Feier der Eucharistie – dort jedoch in verdichteter Weise. Viele Dienste tun Frauen und Männer etwa in Wortgestalten der Verkündigung ja bereits. Man hat als Priester jedoch eine Leitungsaufgabe, um andere Dienste anzuleiten, um Charismen zu entdecken und sie zu prüfen. Insofern braucht es eine Ordination in verantwortliche Dienste. Dienst an den Diensten tun – das können auch Frauen.

Als die Vollversammlung des Synodalen Weg im September 2022 mit über 90 Prozent das Grundsatzdokument über Frauen in der Kirche annahm, sagten Sie, das Dokument sei ein Anstoß für eine weiterführende Diskussion und Klärung auf weltkirchlicher Ebene. Wie zufrieden sind Sie mit dem weltkirchlichen Fortschritt in der Frage?

Ich bin sehr froh und dankbar, wie stark sich die Frage internationalisiert hat und im weltkirchlichen Kontext angekommen ist. Es gibt viele Frauen und Männer, auch Bischöfe, weltweit, die sich für die Frage geöffnet haben – etwa in Belgien, Luxemburg, Australien, Irland, der Schweiz. Die bisherigen lehramtlichen Texte lassen zunächst wenig Offenheit für andere Lösungen. Daher müssen wir um diese Thematik universalkirchlich theologisch argumentativ ringen. Nationalkirchlich ist da nichts zu entscheiden, aber wir stehen in Deutschland auch nicht allein. Die Einsicht scheint sich durchzusetzen, dass hier nicht dekretiert werden darf, sondern auf angemessenem Niveau theologisch zu argumentiert werden muss.

Was sagen Sie engagierten katholischen Frauen, denen die Geduld, die Hoffnung auf Reformen ausgeht?

Ich sage: Jede darf, kann und muss ihre eigene Entscheidung treffen. Dafür sehe ich drei Möglichkeiten. 1. Mit Offenheit in der Zeitperspektive alle Möglichkeiten ergreifen, die heute schon für die Verkündigung des Evangeliums bestehen, und weiter argumentativ streiten. 2. Sich einen Ort suchen, wo Frauen jetzt schon die eigenen Gaben und Fähigkeiten einbringen – beispielsweise auch durch Konversion. Und 3., was viele tun: der stille Rückzug aus der römisch-katholischen Kirche und die eigenen Gaben und Fähigkeiten in anderen Bereichen, an nicht kirchlichen  Orten einbringen. Ich persönlich möchte in der römisch-katholischen Kirche bleiben und die mir verbleibende Lebenszeit unter anderem damit verbringen, das Evangelium zu verkündigen und im Maße meiner Möglichkeiten argumentativ zu streiten für die Teilhabe auch von Frauen an allen Diensten und Ämtern in der Kirche.

Dorothea Sattler ist Professorin für Dogmatik und ökumenische Theologie an der Universität Münster. Sie war Co-Vorsitzende des Frauenforums beim Synodalen Weg, ist Mitglied des Synodalen Ausschusses. Zudem ist sie als Einzelpersönlichkeit Mitglied im Zentralkomitee der deutschen Katholiken, ist dort Sprecherin des Sachbereichs Theologie, Pastoral und Ökumene und ZdK-Vertreterin in der Gemeinsamen Konferenz der Bischöfe und des ZdK. Die Universität Zürich zeichnete sie für ihr Lebenswerk mit einer Ehrenpromotion aus.

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