CDU-Politiker und engagierter Katholik starb im Alter von 84 Jahren

Früherer Arbeitsminister Norbert Blüm ist tot

Der frühere Bundesarbeitsminister Norbert Blüm (CDU) ist tot. Er starb im Alter von 84 Jahren. Der Politiker machte nie einen Hehl daraus, für wie bedeutsam er die christliche Soziallehre hielt. Das machte ihm allerdings nicht nur Freunde. Ein Nachruf.

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Er wollte immer noch etwas bewegen. Obwohl Norbert Blüm sich 2002 aus dem Bundestag verabschiedet hatte, mischte er sich weiter ein - und war ein gefragter Ansprechpartner. Für die WDR-Dokumentation „Im Auftrag meiner Enkel“ begab er sich noch vor wenigen Jahren auf Entdeckungsreise quer durch die Republik, um Antworten für die Zukunft zu erkunden. Zuvor war er mit einem Reporter nach Katar gereist, um die menschenverachtenden Arbeitsbedingungen der Gastarbeiter bei den Stadien für die Fußball-WM 2022 anzuprangern. Nun ist der CDU-Politiker mit 84 Jahren verstorben.

Blüm galt als soziales Gewissen der Union und als „Herz-Jesu-Sozialist“. Zuletzt wandte er sich gegen eine Aushöhlung der Familie und gegen eine Sozialpolitik, die den Solidaritätsgedanken verabschiede. „In der Umweltpolitik reden wir immer von Nachhaltigkeit, doch die heutige Familienpolitik ist alles andere als nachhaltig“, klagte der Unionsmann. Die Kindheit werde immer mehr verstaatlicht, weil die Mütter „an der Arbeitsfront“ gebraucht würden.

 

„Die Rente ist sicher“

 

Scharfe Kritik übte Blüm auch an Wirtschaft und Wissenschaft. Während der Finanzkrise verglich er Analysten, Ratingagenturen und Wirtschaftsprofessoren mit dem Kaiser, der keine Kleider anhat. „Nie hat sich eine Zunft, die das Etikett Wissenschaft in Anspruch nimmt, mehr blamiert als die der Ökonomen“, blaffte er.

Blüm selber wurde bisweilen vorgehalten, dass er Märchen erzählt habe. „Die Rente ist sicher“ - diesen Satz von 1986 sollte er nie wieder loswerden. Doch der Sozialpolitiker dachte gar nicht daran, sich dafür zu entschuldigen. „Ein Rentensystem, das auf Arbeit aufbaut, bietet mehr Sicherheit als eines, das kapitalgedeckt ist und uns als goldene Zukunft gepriesen wurde“, argumentierte er mit Blick auf die Finanzkrise.

 

Student von Joseph Ratzinger

 

Nach Meinung von Kritikern stand Blüm für eine Sozialpolitik, die auf Globalisierung, Alterung der Gesellschaft und Generationengerechtigkeit keine Antwort fand. Und doch merkten viele, dass er auch für ein Wertesystem stand, das über den Tag hinausging.

Dabei konnte der gebürtige Rüsselsheimer aus ganz unterschiedlichen Erfahrungswelten schöpfen: In den 1960er Jahren studierte der gelernte Werkzeugmacher Philosophie, Germanistik, Geschichte und Theologie - unter anderem bei Joseph Ratzinger, dem späteren Papst Benedikt XVI. In dessen Vorlesung lernte er auch seine spätere Frau Marita kennen, mit der er drei Kinder hat. 30 Jahre lang war er im Bundestag, 16 Jahre lang Arbeits- und Sozialminister in der Regierung Kohl - umso härter der Bruch mit dem Altkanzler im Rahmen der CDU-Spendenaffäre.

 

Ein Leben jenseits der Politik

 

Als Minister setzte Blüm eine Gesundheitsreform und zwei große Rentenreformen durch. Am meisten aber verbindet sich wohl die Einführung der Pflegeversicherung 1995 mit seinem Namen. Dass es auch ein Leben neben der Politik gibt, darauf hat er schon früh bestanden: „Politiker, die mit Politik aufstehen, das Mittagessen als Arbeitsessen organisieren und nachts politisch träumen, halte ich für gefährlich.“

Nach dem Rückzug aus der Politik trat Blüm auch in volkstümlichen TV-Sendungen und bei Karnevals-Veranstaltungen auf. Fünf Jahre war er Mitglied des Rateteams von „Was bin ich“. Ab 2007 ging er mit dem „Tatort“-Kommissar Peter Sodann auf Kabarett-Tournee.

 

„Eine große Idee im Tiefschlaf“

 

Geprägt war Blüm von der katholischen Soziallehre eines Oswald von Nell-Breuning. 2010 übernahm er die Hemmerle-Professur am Lehrstuhl für Systematische Theologie der RWTH Aachen. In seiner Vorlesung dozierte er über eine „große Idee im Tiefschlaf: die Christliche Soziallehre“.

Im März hatte Blüm bekannt gemacht, seit einer Blutvergiftung im vergangenen Jahr von den Schultern abwärts gelähmt zu sein. Er habe ein intensives öffentliches Leben geführt - „zeitweise als Rummelboxer der Politik“, schrieb er in Gastbeitrag für die „Zeit“. Im Horizont des Rollstuhls falle der Rückblick anders aus als in der herkömmlichen Panoramasicht. „Ich beurteile manche Ereignisse meines Lebens anders als bisher, und der Rollstuhl bildet die Wasserscheide.“ Er habe sich wieder in die Arme der Familie begeben, so Blüm: „Ich bin daheim.“

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