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Wenn der Steinmetz und Bildhauer Stefan Lutterbeck aus Everswinkel beginnt, mit Hammer und Meißel eine Krippe zu fertigen, hat die Idee dafür schon einen langen Weg hinter sich.
Manchmal sitzt er im Konzert und kritzelt etwas auf das Programmheft. „Die Leute denken dann, ich wäre ein Musik-Kritiker.“ Ist er aber nicht. Denn was Stefan Lutterbeck dann aufs Papier bringt, sind Skizzen – Zeichnungen von Steinen, Figuren, Gegenständen. Immer wieder dabei: Krippen-Darstellungen. Denn sie sind eine Leidenschaft des Bildhauers und Steinmetzes aus Everswinkel. Und wie es sich für einen Künstler wie ihn gehört, kommen ihm die besten Gedanken, wenn es leise wird um ihn. Besonders oft im Konzert mit klassischer Musik, die er so liebt.
Die Bibel gehört für Lutterbeck zum wichtigen "Werkzeug" in seiner Werkstatt. | Foto: Michael Bönte
Seine Frau kennt das Phänomen. Denn am Frühstücks- oder Abendbrottisch in der heimischen Küche geht es Lutterbeck ähnlich. „Der Tisch ist dann übersät mit kleinen Zetteln“, sagt er. „Die Skizzen unterscheiden sich kaum.“ Nur wenige Striche – weiter entwickelt sich das Gemalte in einem Schritt selten. Es gibt einen weiteren Ort, wo ihn die Muße packt. Er muss lachen: „In der Dusche, aber da habe ich keinen Stift und kein Papier.“
Erste Krippe im zweiten Lehrjahr
Dieser Prozess gehört zu jeder Krippe, die er fertigt. Wie viele das bislang waren? Der 58-Jährige muss rechnen: „Etwa zwei bis drei im Jahr und das seit 1977 – sagen wir mal insgesamt etwa 100.“ Bereits im zweiten Lehrjahr fing er an. „Ein alter Grabstein diente als Material – für mehr hatte ich damals kein Geld.“ Damals – das war die Zeit, in der er sich noch sehr auf das Handwerkliche konzentrieren musste. „Ich wollte, dass das Ergebnis eine klassische Krippendarstellung war.“ Nichts Extravagantes, kein besonderer künstlerischer Ausdruck, nichts Abstraktes.
Aus der Idee im Kopf werden erst einmal viele kleine Skizzen. | Foto: Michael Bönte
Das hat sich im Lauf der Jahre geändert. Das Handwerk beherrschte er spätestens seit seinen Meisterprüfungen perfekt. Sein Kopf wurde damit frei für kreative Gedanken, für einen eigenen künstlerischen Stil. Der Ablauf von der Idee bis zur fertigen Krippe ist aber der gleiche geblieben. In der Regel beginnt er mit seinem wichtigsten „Arbeitsbuch“, sagt er: „der Bibel.“
Die Weihnachtsgeschichte hat immer Neues zu erzählen
Kennt er die Weihnachtsgeschichte nicht langsam auswendig? Sein „Nein“ auf diese Frage kommt überraschend überzeugt. „Jedes Mal, wenn ich sie lese, entdecke ich Neues.“ Weil er das Weihnachtsgeschehen nicht auf die Geburt Jesus beschränkt. Für ihn geht sie „von Mariä Verkündigung bis zum greisen Simeon im Tempel“. Mit einem Lieblingsmotiv: „Die Flucht nach Ägypten.“ Die lässt ihn immer besonders aufmerken. „Es gibt so viel Flüchtlinge, aber erst, wenn sie ein Gesicht bekommen und prominent sind wie die heilige Familie, berührt uns ihre Situation.“
Die Krippen von Lutterbeck wiegen zum Teil bis zu einer Tonne. | Foto: Michael Bönte
Auch andere Motive bringen ihm Inspiration. Ein Beispiel: „Vor einigen Jahren beschäftigten mich die drei Träume Josefs intensiv.“ Engel berichten darin von der Schwangerschaft Marias, rufen zur Flucht nach Ägypten auf und raten später zur Rückkehr nach Israel. Am Ende schuf Lutterbeck die Darstellungen eines schlafenden Josefs, dessen Kopf im Schoß Marias ruht.
Der Prozess von der Idee bis zur fertigen Krippe ist lang
Zwischen der ersten Idee und der fertigen Arbeit steht ein langer Prozess. Der mit jenen Zetteln beginnt, die ihn ständig begleiten. „Dabei geht es eigentlich um eine Reduktion“, sagt Lutterbeck. Immer ein, zwei Striche weniger, bis er an den entscheidenden Punkt kommt. „Noch weniger, und der Betrachter kann meine Gedanken nicht mehr nachvollziehen.“ Die Grenze ist erreicht – seine Idee hat ihre endgültige Ausdrucksform angenommen.
Lutterbeck verziert seine Steinkrippen gern mit Blattgold. | Foto: Michael Bönte
Er schätzt die Freiheit dieses kreativen Prozesses, die er sich bei seinen Krippen besonders herausnimmt. „Ich habe noch nie eine Weihnachtsdarstellung als Auftragsarbeit gefertigt.“ Das bedeutet: Keine Rechenschaft, keine Einschränkung von außen, kein Abwägen von Vorstellungen. Auch die kleinen Gips-Modelle, die er für seine Kunden jedes Mal von Grabsteinen anfertigt, sind nicht notwendig. „Allein meine Idee zählt.“
Grobes und filigranes Handwerk
Die Umsetzung ist dann Handwerk – anspruchsvoll, grob bis filigran. An dessen Anfang die Auswahl des Materials steht. Auch da hat er seine Lieblinge: „Granit für schroffe Aussagen, Sandstein für eine warme Ausstrahlung, Anröchter Dolomit für farbliche Stimmungen.“ Neuerdings kommt auch Holz dazu, das er aber wie ein Steinmetz bearbeitet, gibt er zu: „Mehr schleifen als schnitzen.“
Erste Entwürfe auf der Fensterbank der Werkstatt. | Foto: Michael Bönte
Allen Materialien gleich: Lutterbecks Arbeit geschieht an einem Stück – am Block, am Quader, am Steinbrocken. Hämmer, unterschiedliche Meißel und Schlageisen, Schleifgeräte und feine Werkzeuge kommen zum Einsatz. Bei Lutterbeck meistens in den Abendstunden, wenn in seiner Werkstatt in Everswinkel Ruhe eingekehrt ist. „Und dann bis spät in die Nacht.“
Immer auf den letzten Drücker
Und oft viel zu spät, sagt er. „Ich mache die Krippen immer auf den letzten Drücker.“ Er meint das mit Blick auf den Abgabetermin für die Krippenausstellung in Telgte. „Ich kann einfach erst anfangen, wenn es abends dunkel und kalt ist.“ Bei 30 Grad und Sonnenschein geht ihm die Weihnachtsgeschichte nicht von der Hand. Und so ist er in der Regel der letzte Künstler, der sein Werk im Museum Relígio abgibt.
Auf dem Werkstattgelände stehen viele Krippen, die Lutterbeck gefertigt hat. | Foto: Michael Bönte
Und das seit 40 Jahren – ununterbrochen. Drei Mal ist er dabei mit dem Bischof-Heinrich-Tenhumberg-Preis für herausragende Krippendarstellungen ausgezeichnet worden. Das bedeutet ihm viel, sagt er. Er fühlt sich wohl, wenn der Zuspruch von vielen Seiten kommt. Seine Krippen wandern durch Deutschland, machten bereits Station im Frankfurter Römer, in der Marktkirche in Hannover oder im Diözesanmuseum in Osnabrück. Seit fünf Jahren steht zu Weihnachten ein Exemplar in der NRW-Landesvertretung in Berlin. Einige seiner Krippen werden irgendwann von Privatleuten gekauft. Zwischen 600 und 8000 Euro liegen die Preise, je nach Material und Arbeitsaufwand. Auch der Transport ist manchmal aufwändig, denn die Darstellungen können bis zu einer Tonne wiegen.
Keine Trennungsschmerz trotz Herzblut
Trennungsschmerz kennt Lutterbeck dann nicht, auch wenn viel Herzblut in den Arbeiten steckt. „Wenn jemand eine Krippe von mir kauft, zeigt das, dass er meine Gedanken verstanden hat.“ Wie etwa dein Arzt aus Köln, der eine Darstellung aus zwei Meter hohen Steinstelen erwarb. „Ich war erstaunt, dass er sie nicht im Garten, sondern in seinem Schlafzimmer aufgestellt hat.“
Eine Krippe mit der Darstellung der heiligen drei Könige. | Foto: Michael Bönte
Erst an einem solchen Punkt ist das Projekt einer Krippe für Lutterbeck beendet. Was lange vorher beim Lesen der Bibel als Idee entstand, hat dann endgültig sein Ziel erreicht: Menschen, die sich davon inspirieren lassen. Damit dies auch künftig gelingt, wird der Steinmetz immer wieder die Evangelien nach Lukas und Matthäus lesen, die von der Geburt Jesu berichten. Und er wird immer einen Stift in der Tasche haben, um seinen ersten Gedanken weiterentwickeln zu können. Sei es im Klassik-Konzert oder am Küchentisch.