Anzeige
Alles andere als eine „stupide Erbsenzählerei“ ist für Pfarrdechant Markus Trautmann aus Dülmen im Kreis Coesfeld der Rosenkranz. Ein weiteres Gebet schätzt er besonders.
Zum Silbernen Priesterjubiläum vor wenigen Wochen habe ich mich wieder neu mit meinem Primizspruch befasst: „Herr, du weißt alles; du weißt, dass ich dich liebhabe.“ (Joh 21,17) Dieser Vers ist letztlich ein Gebet. Denn in aller Kürze umspannt das Wort des Petrus die Weite dessen, was im Zwiegespräch mit Gott Raum findet: Eingeständnis und Bekenntnis, Reue und Zuversicht, Selbstwahrnehmung und Gottvertrauen.
Als Priester habe ich die Aufgabe, unterschiedlichste Situationen und Anlässe der Gemeinde beziehungsweise Empfindungen und Erwartungen der Menschen „ins Wort zu bringen“, indem ich Gebete vortrage – liturgisch vorgegeben oder persönlich ausgewählt, vielleicht selbst formuliert.
Gebet gehört dazu
Themenwoche „Die Kraft des Gebets“
Das Gebet gehört für viele Christen zum Alltag. Doch die Ausdrucksformen sind sehr unterschiedlich. Kirche+Leben stellt sieben Menschen vor, denen das Beten ein wichtiges Anliegen ist.
In meiner Familie gehörte das Gebet einfach dazu: im Sonntagsgottesdienst, als Tischgebet, als Gebet vor der Schule. Ich könnte viele Situationen in der Kindheit und Jugend aufzählen, wo gebetet wurde. Schon als Teenager wurde ich aktiv an das Stundengebet herangeführt, nämlich durch einen alten Priester, bei dem ich mich wöchentlich mit anderen Jungen zu einem Bibel- und Gesprächskreis traf.
Bis heute ist das „Brevier“ eine Schatztruhe: Es gibt keine menschliche Situation, mit der die biblischen Psalmen und Hymnen nicht vertraut wären, die in den Orationen und Fürbitten nicht Gott hingehalten würden! Und das darf ich im Stundengebet tun: im ehrwürdigen Strom geronnener Glaubenserfahrung von Generationen, aber zugleich stellvertretend für die mir heute ganz konkret anvertrauten und vor Augen stehenden Menschen – und dies in den Worten und Bildern, die schon Jesus zutiefst vertraut waren.
Beten beim Autofahren
Anders als das Stundengebet habe ich erst später den Rosenkranz schätzen gelernt, diese volkstümliche Kompaktversion der Frohen Botschaft. Das Rosenkranzgebet ist für mich seit jenem Zeitpunkt alles andere als stupide „Erbsenzählerei“, als ich anfing, mit jeder einzelnen Perle einen je anderen Menschen buchstäblich ins Gebet zu nehmen.
Das hat etwas bewusst Solidarisches, wenn mir an jeder Perle Gesichter und Begegnungen wirklich vor Augen stehen und einzeln durchs Herz gehen: Kollegen aus der Pfarrei oder Ehrenamtliche aus dem Kirchenvorstand, Mitglieder aus dem örtlichen Stadtrat oder Menschengruppen aus den Nachrichten.
Lautes Beten mit Mitfahrenden
Auch bestimmte schwierige Situationen oder belastende Debatten kann ich an diesem schönen „Handlauf“ zu Gott mitnehmen, ebenso wie gelungene Momente oder dankbare Erinnerungen, die ich mir je Perle bewusst mache. Das ist alles andere als ermüdend – weshalb ich den Rosenkranz meistens beim Autofahren bete, gern laut, manchmal auch mit Mitfahrenden.
Andrerseits sind es mitunter bestimmte Orte, die mich zum Gebet inspirieren, dann aber für mich allein und in der betrachtenden Stille. So sehr ich die gemeinschaftliche Liturgie liebe, so sehr schätze ich auch das längere Alleinsein in einer leeren Kirche, vor dem Tabernakel. Hier vollzieht sich die wohl persönlichste, intimste und freieste Form des Betens – hier werde ich wirklich geführt. Vor Ort ist es etwa die alte Klosterkirche Hamicolt oder die Krankenhauskapelle des Dülmener Franz-Hospitals, wohin ich mich manchmal begebe.
Beten schenkt Ruhe im Alltag
Ich merke, wie das Gebet in der Hektik des Alltags Ruhe schenkt; In Konflikten finde ich Gelassenheit; in Zeiten der Freude macht erst das Gebet mein Herz richtig weit. Beim Beten kommen gute Gedanken und Ideen. Man spürt, wenn Christen das Gebet vernachlässigen – nicht zuletzt an mir selbst: Dann wird es kurzatmig und unbedacht und gereizt. Und umgekehrt: Beten ist das Atemholen der Seele.