Philipp Ebert zu Kirchenkrise und Reiselust

Gegen den Kirchen-Koller: Einfach mal den Blick weiten!

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Wenn einem die Krise in der katholischen Kirche wieder zu stark aufs Gemüt schlägt, dann hilft es immer mal wieder, den eigenen Blick zu weiten, erklärt Philipp Ebert in seinem Gastkommentar.

Herbstzeit, Reisezeit. Wegfahren, Neues sehen: Das hat nicht nur etwas mit Ausspannen zu tun, sondern mit Nahrungsaufnahme: kulinarisch, ästhetisch, kulturell und in der Naturerfahrung. Wer anderes erlebt und Neues sieht, der findet genau dort in der Fremde zu sich selbst.

Anderes erleben, Neues sehen: Das sind nicht nur gute Rezepte für uns weltliche Menschen, sondern auch für das Leben in unserer Kirche. Gerade in Deutschland befindet sich unsere Gemeinschaft in einer fundamentalen Krise. Die Verbrechen sexualisierter Gewalt und der Skandal seiner jahrzehntelangen Verdunkelung – nicht nur, aber auch in der katholischen Kirche – verstärkt die allgemeine kirchliche Krise. Unsere Kirche bleibt von Säkularisierung, Individualisierung und Ent-Institutionalisierung nicht verschont, im Gegenteil. Vielerorts überaltert sie, der Nachwuchs wird rar. Das Gefühl einer allgemeinen Malaise ist programmiert. Von den Herausforderungen der bleibenden Aufgabe des II. Vatikanischen Konzils, die Kirche ins Heute zu holen, ist da noch gar nicht die Rede.

Doch droht uns Katholiken in Deutschland auch die große Gefahr einer Nabelschau. Es ist wie der Koller, den man mitunter im Alltag erlebt. Wenn Gedanken und Frustration sich im Kreis drehen, hilft manchmal nur noch wegzufahren, um den Blick zu weiten.

Einfach mal in die Schrift schauen

Der Autor
Philipp Ebert ist promovierter His­toriker und ausgebildeter Journalist. Seit August 2022 ist er Pressesprecher und Leiter der Fachstelle Öffentlichkeitsarbeit im Bischöflich Münsterschen Offizialat in Vechta.

Den Blick zu weiten, dazu rate ich auch uns Katholiken. Die innerkirchlichen Kämpfe, das Lästern mal einstellen. Stattdessen: In die Schrift schauen, das eigene Tun an dem Maßstab messen, der uns dort präsentiert wird. Das Irritierende und das Ermutigende an Gottes Wort neu entdecken. Liturgie neu und anders erleben. Wo die Tradition eingeschlafen ist: wieder häufiger in den Gottesdienst gehen. Wo man im Bekannten eingefahren ist: die Liturgie in anderen Ländern, anderen Sprachen, anderer Gestaltung erleben, um das eigene neu zu entdecken. Oder: in die christliche Philosophie eintauchen, ohne die der moderne Westen nicht denkbar wäre.

Und wenn alles nicht hilft: Neu auf Heilige schauen, die Gott unter prekären Bedingungen bezeugt haben. Ich denke an einen meiner Lieblingsheiligen, Maximilian Kolbe. Wer solche Menschen Bruder oder Schwester nennen kann, der hat einen Schatz. Deshalb: Wenn mal wieder der kirchliche Koller droht, einfach den Blick in die Weite schweifen lassen – und sehen, welche inspirierenden Menschen, Traditionen und Geschichten sich auf Gottes Pfaden finden lassen.

In unseren Gast-Kommentaren schildern die Autor:innen ihre persönliche Meinung zu einem selbst gewählten Thema. Sie sind Teil der Kultur von Meinungsvielfalt in unserem Medium und ein Beitrag zu einer Kirche, deren Anliegen es ist, die Zeichen der Zeit zu erkennen.

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