Neue Sprechstunde in Delmenhorst

Gegen Hebammenmangel: Neues Caritas-Projekt hilft Schwangeren

  • Mit einer „Hebammensprechstunde“ hilft die Caritas in Delmenhorst Schwangeren, die keine Hebamme gefunden haben.
  • Für sie ist die Suche nach Betreuung in den vergangenen Jahren immer schwieriger geworden.
  • Nach Ansicht von Hebamme Nathalie Nelles aus Bremen liegt das unter anderem an der nach ihrer Ansicht unangemessenen Bezahlung.

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„Nach der achten, neunten Woche hast du fast keine Chance, überhaupt noch eine Hebamme für die Geburtsvorbereitung zu finden. Dabei hast du gerade mal verstanden, dass du schwanger bist.“ Nathalie Nelle nickt. „Unsere Kapazitäten sind halt begrenzt“, sagt die Frau, die sich in Delmenhorst um Mütter kümmert, vor und nach der Geburt.

Früher wurde es vielleicht mal an Weihnachten eng oder während der Sommerferien. „Dann haben wir uns mit zwei Hebammen gegenseitig vertreten.“ Doch daran sei derzeit nicht zu denken, und zwar das ganze Jahr über. Schwangere wären froh, überhaupt jemanden für die Betreuung vor der Geburt zu finden. Frauen wie Tatjana Paul zum Beispiel. Mitte Mai ist es bei ihr so weit. Seit einem Monat weiß sie: Es wird ein Mädchen. Sie freut sich auf ihr Kind.

Caritas-Hebammensprechstunde in Delmenhorst

Nathalie Nelle aus Bremen ist Hebamme und steht bei der Delmenhorster Hebammensprechstunde als Ansprechpartnerin zur Verfügung. |Foto: Michale Rottmann
Nathalie Nelle aus Bremen ist Hebamme und steht bei der Delmenhorster Hebammensprechstunde als Ansprechpartnerin zur Verfügung. | Foto: Michael Rottmann

Auch die 24-Jährige ahnte schon früh: Das mit der Hebamme wird schwierig! Ihre Freundinnen zum Beispiel hatten keine gefunden. Sie selbst wurde am Ende immerhin über die Caritas-Schwangerenberatung in Delmenhorst fündig. Die reagiert seit September mit einem neuen Angebot auf den Mangel: mit einer eigenen „Hebammensprechstunde“.

Die Idee dahinter: Schwangere können einen der wöchentlichen Termine bei der Caritas buchen. Dort steht Hebamme Nathalie Nelle dann gleich fünf Frauen hintereinander mit Rat und Tat zur Seite. Zu Fragen wie: Was hilft gegen Rückenschmerzen oder Übelkeit? Worauf kommt es bei der Ernährung an? Und nach der Entbindung zu allem, was dann wichtig ist: Stillen, Blähungen, Schreien. Auch Tatjana Paul hatte mit Rückenschmerzen und Übelkeit zu kämpfen. Nathalie Nelle gab ihr in der Sprechstunde zudem den Tipp mit dem Geburtsvorbereitungskurs.

Zugewanderte Schwangere kennen ihre Ansprüche oft nicht

Ruth Bock-Janik ist seit 26 Jahren Beraterin der Caritas für Schwangere in Delmenhorst. | Foto: Michael Rottmann
Ruth Bock-Janik ist seit 26 Jahren Beraterin der Caritas für Schwangere in Delmenhorst. | Foto: Michael Rottmann

Fälle wie den der jungen Schwangeren hatte Ruth Bock-Janik beim Start des Caritas-Projekts „Hebammensprechstunde“ vor Augen – Frauen, die vergeblich eine Hebamme gesucht haben. Aber nicht nur sie. Die Leiterin der Schwangerenberatung denkt auch an diejenigen, für die so ein Angebot wichtig, aber manchmal unbekannt ist: zugewanderte Mütter. Ihre Erfahrungen aus 26 Jahren Beratung: Viele kennen ihre Ansprüche gar nicht.

Rund 340 Klientinnen aus 39 verschiedenen Nationalitäten haben allein im vergangenen Jahr bei der Delmenhorster Caritas Hilfe gesucht. Nur die wenigsten wussten, dass sie bis zur und noch zwölf Wochen nach der Entbindung Hilfe einer Hebamme bekommen können. Wissenslücken, die die Sozialpädagogin zum Beispiel mithilfe eines professionellen Telefon-Dolmetscherdienstes füllen kann.

Hebammensprechstunde auch aus Spenden finanziert

Die Beraterin kann auch ihnen bei der Suche nach einer Hebamme zu helfen versuchen, etwa über die regionale Hebammenzentrale. Oder ihnen einen Termin in der neuen Caritas-Hebammensprechstunde vermitteln. In den ersten drei Monaten seit dem Start haben das rund 30 Schwangere in Anspruch genommen.

Finanziert wird die neue Sprechstunde für zunächst ein Jahr durch kirchliche Mittel und Spenden. Wie wichtig sie ist, das kann die Beraterin an der Anmeldeliste ablesen. Das wöchentliche Angebot ist meist zwei Wochen vorm Termin ausgebucht.

Einstiegsgehalt einer Hebamme liegt bei 3108 Euro

Tatjana Paul 24 ist schwanger und hat die Hebammensprechstunde bereits mehrfach genutzt. | Foto: Michael Rottmann
Tatjana Paul, 24 Jahre, ist schwanger und hat die Hebammensprechstunde bereits mehrfach genutzt. | Foto: Michael Rottmann

Aber warum mangelt es derzeit eigentlich so sehr an Hebammen? Im Moment etwa wegen der Umstellung der Ausbildung, sagt Nathalie Nelle. Seit 2020 ist ein duales Studium erforderlich. Bis die ersten Absolventinnen fertig würden, dauere es eben. Hinzu komme die in ihren Augen zu schlechte Bezahlung. Sie mache den Beruf nicht attraktiv genug.

Das Brutto-Einstiegsgehalt im Öffentlichen Dienst liegt für eine Hebamme aktuell bei 3108 Euro plus Nacht-, Schicht- und Sonderzuschläge. „Wir verdienen einfach nicht viel, für die Verantwortung und die Ausgaben, die wir haben, bis wir überhaupt arbeiten dürfen“, sagt Nathalie Nelle, „etwa wegen der Haftpflichtversicherung für freiberufliche Hebammen in der Geburtshilfe.“

Auch, wenn die Sprechstunde das Problem Hebammenmangel nicht lösen kann, „sie löst für fünf Frauen pro Nachmittag deren Probleme. Zum Beispiel, wenn sie nicht stillen kann, und wenn sie dann dank meiner Beratung einen guten Start bekommt.“

Haftpflichtprämien für Hebammen
Die Haftpflichtprämien für freiberuflich tätige Hebammen sind in den vergangenen Jahrzehnten laut Deutschem Hebammenverband enorm gestiegen. Lagen sie 1981 noch bei 30 Euro brutto, so waren es im Jahr 2000 schon 413 Euro, 2010 dann 3.700 Euro und aktuell 12.660 Euro. Seit 2015 soll ein Sicherstellungszuschlag die Belastung durch diese Versicherung abmildern. Seit 2021 beträgt dieser rund 8000 Euro. Laut Deutschem Hebammenverband gibt es in Deutschland rund 26.000 Hebammen und 2020 rund 773.000 Geburten. Gleichbleibend etwa 30 Prozent der Kinder kam per Kaiserschnitt zur Welt.

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