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Die Kirche will einladend und menschenfreundlich sein, doch die erlebte Wirklichkeit vieler Menschen weicht von der Verkündigung ab. Das muss aufhören, kommentiert der Moraltheologe Jochen Sautermeister.
Vor wenigen Monaten erschien ein Buch mit dem sprechenden Titel „Heillose Macht“. In zahlreichen Erfahrungsberichten erzählen Priester wie Laien, Mitarbeiter*innen und Ehrenamtliche, wie sie persönlich in der katholischen Kirche Machtmissbrauch erlitten haben und „die Kirche auch als einen Raum der Willkür und Demütigung“ erleben. Die Resonanzen auf das Buch zeigen: Hier wird erzählt, was viele kennen – aber nur im geschützten Raum, im „save space“, anzusprechen wagen.
Wenn Menschen solche geschützten Räume benötigen, um über ihre Erfahrungen mit missbräuchlicher Machtausübung in der Kirche sprechen zu können, dann läuft etwas grundlegend falsch. Eine Kultur der Angst in der Kirche steht im drastischen Widerspruch zum Selbstverständnis einer einladenden und menschenfreundlichen Kirche. Wenn die Verkündigung nicht mit der erlebten Wirklichkeit übereinstimmt, dann verliert das Gesagte seine Glaubwürdigkeit.
Aufarbeitung noch immer halbherzig
All die Erfahrungen von Machtmissbrauch können und dürfen einen nicht kaltlassen. Denn sie legen in erschreckender Weise krankmachende, toxische und verachtende Verhaltensmuster, Strukturen und Dynamiken von Macht offen zu Tage, die in der Kirche noch immer wirksam sind.
Solange der Schutz der Institution wichtiger ist als eine ehrliche und selbstkritische Auseinandersetzung mit den unterschiedlichsten Spielarten und spezifischen Mechanismen von Machtmissbrauch, solange der Schutz von Personen in Führungsämtern wichtiger ist als das Aufdecken von Missständen, solange loyale Kritik als Ungehorsam abgewehrt wird, solange bleibt auch alle Bemühung um Aufarbeitung von sexualisierter Gewalt in der Kirche halbherzig.
Bischöfe in besonderer Verantwortung
Der Autor:
Jochen Sautermeister ist Professor für Moraltheologie an der Universität Bonn.
Denn die Glaubwürdigkeit wird nachhaltig erschüttert, und es widerspricht dem Auftrag der Evangelisierung, wenn die Aufarbeitungsrhetorik von der erfahrenen Wirklichkeit abweicht. Hier stehen die Bischöfe in besonderer Verantwortung.
Denn auch in der Kirche gilt: „The Tone at the top“. Die Führungskultur auf der Leitungsebene färbt auf die ganze Institution und die Mitarbeitenden ab. Das Verhalten an der Spitze wirkt sich auch auf die Kultur und das Miteinander in der ganzen Kirche aus.
In unseren Gast-Kommentaren schildern die Autor:innen ihre persönliche Meinung zu einem selbst gewählten Thema. Sie sind Teil der Kultur von Meinungsvielfalt in unserem Medium und ein Beitrag zu einer Kirche, deren Anliegen es ist, die Zeichen der Zeit zu erkennen.