GEWALT GEGEN FRAUEN

Der Fall Pelicot zeigt: Die Scham muss die Seiten wechseln!

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Gewalt gegen Frauen im öffentlichen Raum ist noch immer Alltag. Gut, dass sich auch die junge Generation des Problems bewusst ist, sagt Aurica Jax.

 

Es ist und bleibt ein trauriger Klassiker: Die Unverfügbarkeit des eigenen Körpers für andere wird von zahllosen Grenzüberschreitungen verletzt. Aktuelles, erschreckendes Beispiel sind die Spritzenattacken auf dem größten Musikfestival Frankreichs am 21. Juni, zu denen sich zuvor Männer in den sogenannten sozialen Medien verabredet hatten. Entsprechende Warnungen hielten Frauen davon ab, das Festival unbeschwert oder überhaupt zu besuchen. Die bereits von der zweiten Frauenbewegung der 1970er Jahre geforderte Sicherheit für Frauen im öffentlichen Raum ist immer noch nicht selbstverständlich.

Vor zwei Jahren wies die Comedienne Carolin Kebekus in ihrer Show mit einer aktualisierten Version des Songs „Saturday Night“ auf das Problem hin. In diesem Zusammenhang hörte ich zum ersten Mal vom sogenannten „Needle Spiking“, der Verletzung von Frauen mit Nadeln und Spritzen mit den Zielen der Verunsicherung bis hin zur tatsächlich ausgeübten sexualisierten Gewalt. Der französische Autor Félix Lemaitre hat sich mit diesem Phänomen befasst und im Buch „La nuit des hommes“, „Die Nacht der Männer“ seine kulturellen und politischen Wurzeln analysiert.

Lehren aus Frankreich

Die Autorin:
Die Theologin Aurica Jax ist mit je halber Stelle Referentin für Ökumene im Bistum Münster und Lehrkraft für besondere Aufgaben an der Katholischen Hochschule NRW (Standort Münster). Sie engagiert sich in der Bischöflichen Frauenkommission sowie am Institut für Theologische Zoologie (Münster).

Mir scheint „soumission chimique“, „chemische Unterwerfung“ im Französischen ein stärker etablierter Begriff zu sein als im Deutschen. Das hängt vermutlich mit Gisèle Pelicot zusammen, die im vergangenen Jahr öffentlich im Prozess gegen ihren Ehemann auftrat. Er hatte seine Frau jahrelang betäubt und in diesem Zustand von fast 100 Männern vergewaltigen lassen. Ihr Satz „Die Scham muss die Seiten wechseln!“ – er stammt ursprünglich aus der #MeToo-Bewegung – fordert, dass die Täter sich schämen, nicht die Opfer. Er wurde in Frankreich tausendfach auf Demonstrationen aufgegriffen.

Ich bin als Lehrkraft für besondere Aufgaben für das Lehrgebiet Theologie tätig, am Standort Münster der Katholischen Hochschule NRW. Im Wintersemester erwähnte ich Gisèle Pelicot kurz als aktuelles Beispiel in einem Seminar zum Phänomen „Scham“: Der Prozess gegen ihren Ehemann endete am 19. Dezember 2024 mit der Verurteilung zu 20 Jahren Haft.

Die Nachfragen von Studentinnen und die Tatsache, dass aktuell mehrere Hausarbeiten zu Gisèle Pelicot entstehen, bewegen mich sehr. Beides zeigt, dass das Thema Frauen auch in einer jüngeren Generation beschäftigt. Und dass es weiterhin vieler Anstrengungen bedarf, damit sich Menschen aller Geschlechter im öffentlichen Raum sicher fühlen.

In unseren Gast-Kommentaren schildern die Autor:innen ihre persönliche Meinung zu einem selbst gewählten Thema. Sie sind Teil der Kultur von Meinungsvielfalt in unserem Medium und ein Beitrag zu einer Kirche, deren Anliegen es ist, die Zeichen der Zeit zu erkennen.

 

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