Netzwerk „Echte Männer reden“

Gewaltberatung im Bistum Münster hilft brutalen Männern

Auch prügelnde Männer haben Hilfe verdient. Das Netzwerk „Echte Männer reden“ unterstützt sie dabei, einen anderen Umgang mit Krisen zu erarbeiten. Das Angebot im Bistum Münster ist im katholischen Raum führend und in Deutschland einzigartig.

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Jede vierte Frau zwischen 16 bis 85 Jahren hat im Verlauf ihres Lebens mindestens einmal körperliche und/oder sexuelle Übergriffe durch einen Beziehungspartner erlebt. Das ist das Ergebnis einer im Auftrag des Bundesministeriums für Familie, Senioren, Frauen und Jugend erstellten Studie aus dem Jahr 2004. Im europäischen Vergleich liegt die Gewaltbetroffenheit in Deutschland lebender Frauen mit 35 Prozent sogar leicht über dem europäischen Durchschnitt von 33 Prozent, besagt eine 2014 erhobene Studie der Agentur der Europäischen Union für Grundrechte.

Mehrheitlich sind die Männer die Täter. „Die Familie ist einer der gefährlichsten Orte überhaupt“, sagt Andreas Moorkamp. Er berät Männer, die ihren Partnerinnen Gewalt antun. Viele von ihnen kommen freiwillig in seine Sprechstunde beim Caritasverband in Münster, weil sie ihr Verhalten selbst nicht mehr ausstehen können.

 

Gewaltberater stehen im Netz

 

Moorkamp arbeitet als Gewaltberater und Täter-Therapeut. Er hat in den vergangenen zehn Jahren mit seinen männlichen Kollegen in Hamm, Herten, Warendorf, Ibbenbüren und Bocholt ein Netzwerk im Bistum Münster aufgebaut, das bundesweit einmalig ist. Sechs Mitarbeiter, alle ausgebildete Krisen- und Gewaltberater, machen Männern ein Gesprächsangebot. Unter www.echte-männer-reden.de kann man mit ihnen Kontakt aufnehmen.

2004 begann Moorkamp mit der Arbeit in Münster. Einige Jahre später schlossen sich die Beratungsstellen in Hamm und Herten an. Warendorf, Ibbenbüren und Bocholt kamen in den darauffolgenden Jahren dazu. Seit 2007 gibt es das Netzwerk. Die Beratungsstellen sind in unterschiedlicher Trägerschaft: Caritas, Sozialdienst katholischer Männer (SKM), Katholischer Sozialdienst. Bislang wurden die Stellen aus Projektmitteln finanziert. Inzwischen weitet der Diözesancaritasverband Münster (DiCV) das Netzwerk auf nordrhein-westfälischer Ebene weiter aus.

 

Bistum Münster gibt Geld

 

Nach Bernhard Hülsken vom DiCV sollen noch mehr katholische Träger ins Boot genommen werden. Künftig könnten auch Nachsorgegruppen für Männer hinzukommen, die bereits eine Gewaltberatung in Anspruch genommen haben. Das Bistum Münster sichert durch sein finanzielles Engagement die Arbeit, sagt Bernhard Hülsken, der im Oktober anlässlich von zehn Jahren Netzwerk einen Fachkongress in Münster zum Thema ausrichten wird.

Andreas Moorkamp ist der Gründungsvater des Netzwerks. Zehn Jahre hatte er zunächst in einer SKM-Kriseneinrichtung für Jungen von zwölf bis 17 Jahren gearbeitet. „Jungen haben einen anderen Umgang mit Problemen als Mädchen“, sagt er. „Sie agieren nach außen, mit Grenzüberschreitungen, Gewalt, Drogen, Straftaten, Schulverweigerung.“ Moorkamp führt das auf Erziehung, die weitere männliche Sozialisation und das gesellschaftliche Männerbild zurück. Schwäche, Hilflosigkeit, Tränen, Enttäuschung, Trauer, Angst, Unsicherheit hätten darin wenig Platz.

 

Einseitiges Männerbild in Medien

 

„Schauen Sie sich die Medien, die  Werbung, das  Fernsehprogramm an, wie Männer darin dargestellt werden“, rät Moorkamp. Jungen und Männer lernten früh, ihre Gefühle wegzudrücken, Ärger herunterzuspülen, Enttäuschungen und Zurückweisungen in Wut zu wandeln, Unsicherheit durch selbstbewusstes Auftreten zu überspielen und Potenz zu demonstrieren, wenn sie sich schwach fühlen. „Am Arbeitsplatz gegenüber dem kritisierenden Chef oder den konkurrierenden Kollegen halten sie sich zurück. Zuhause bricht es dann massiv aus ihnen heraus.“

Häusliche Gewalt sei kein Randgruppen-Phänomen. „Die Täter sind Langzeitarbeitslose, Firmenarbeiter, Theologen, Lehrer, Direktoren“, sagt Moorkamp. Bis 2002 sei es üblich gewesen, dass die Opfer häuslicher Gewalt in Frauenhäusern Zuflucht suchten. Mit dem Gewaltschutzgesetz habe die Polizei jetzt beim Einsatz die Befugnis, den Tätern bis zu zehn Tagen Hausverbot zu erteilen. Frauen ­könnten zudem Anträge auf ein Näherungsverbot und eine Zuweisung der Wohnung stellen. Brutale Männer landeten so auf der Straße oder schlüpften bei Bekannten unter. Er selbst kenne Männer, die im Auto übernachten mussten.

 

Nicht immer blutig

 

Fausthiebe, Tritte, Vergewaltigung, Drohungen, Kontrolle, Zuteilen von Geld – bei den Taten müsse nicht immer Blut fließen. „Wir verurteilen nicht den Mann, sondern seine Tat“, erläutert Moorkamp  das Konzept. Ein Viertel der Männer, die sich an die Berater wenden, kommen aus dem „Dunkelfeld“. Von ihren Taten wissen nur sie selbst und ihre Opfer.

Ein weiteres Viertel werde von der Justiz oder Bewährungshilfe geschickt. Der Rest suche über Beratungsstellen und andere Institutionen Hilfe. Viele schämten sich ihrer Taten. Oft müssten sie aber erst lernen, dafür auch die Verantwortung zu übernehmen. Nicht der Chef, der Druck macht, oder die Kinder, die krank sind, seien schuld: „Die Männer allein haben die Verantwortung dafür, ob sie zuschlagen oder aus der Situation herausgehen.“

 

Verantwortung übernehmen

 

„Seit vier Jahrzehnten engagiert sich die Caritas im Opferschutz“, sagt Bernhard Hülsken. Dass man sich den Tätern zuwendet, habe nichts mit Weichspülen zu tun, sondern mit „Zuwendung und Auseinandersetzung“. „Die vollständige Verantwortungsübernahme für die eigenen Handlungen zu erarbeiten, ist der Weg hin zur Veränderung“, erläutert Hülsken das hinter der Gewaltberatung stehende christliche Menschenbild.

Kreativ wirbt das Netzwerks www.echte-männer-reden.de für sein Angebot: mit Karten zum Mitnehmen, Streichholz-Mäppchen in Kneipen, Verpackungshüllen für Taschentücher, Bonbon-Dosen – mit allem, was Mann so brauchen kann. 225 Männer haben 2016 allein in Münster, Herten, dem Kreis Warendorf und Hamm die Hilfe in Anspruch genommen. 1.420 Beratungsgespräche wurden geführt. Tendenz steigend.

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