Fotostrecke: Ausflug in die Zeit vor 500 Jahren

„Gnadenstoß“: Reformation als Live-Rollenspiel in Stapelfeld

Wie haben die Menschen vor 500 Jahren die Reformation erlebt? Bei einem Rollenspiel in der katholischen Akademie Stapelfeld sind 33 Teilnehmer in die Rollen von Priestern, Bauern und Pilgern geschlüpft. Wir zeigen die besten Fotos.

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Das System funktioniert im Wallfahrtsort Porta Gratiae. Pilger strömen in Scharen herbei und tun alles, um so genannte Glücks- und Gnadenpunkte zu ergattern, die die Obrigkeit nach Gutdünken ausgibt.

Fürst und geistliche Führung denken sich dafür die unsinnigsten Aufgaben aus: rückwärts auf einem Bein hüpfen etwa oder mit einer Schweinemaske durch den Ort laufen und laut „Ich bin nichts wert!“ rufen.

 

Jagd nach Gnadenpunkten

 

Wer fünf Punkte ergattert hat, darf eine gelbe Schärpe tragen, für zehn gibt es eine blaue und ab 20 eine weiße. Fast alle beim Live-Rollenspiel „Gnadenstoß“ in der Katholischen Akademie Stapelfeld machen fleißig mit und festigen dadurch Macht und Stellung der Obrigkeit. Die des Fürsten, der mit harter Hand regiert und die des Hüters der Fantasiereligion „Das große Ganze“, Nikolaus Dornfeld, der sich „Hüter der Einheit“ nennt. Bis eine Professorin beginnt, an der Ordnung zu kratzen. Sie ruft auf zum Widerstand und nagelt 28 Thesen an die Dorfeiche. Das Spiel kann beginnen.

„Wie haben die Menschen vor 500 Jahren eigentlich einen Prozess wie den der Reformation erlebt?“ Wer davon einen Eindruck bekommen wollte, der hatte jetzt Gelegenheit bei einem einzigartigen Experiment: einem Rollenspiel, das Denkweisen und Zustände der Zeit Luthers aufgriff.

 

Drei Tage in eine Rolle schlüpfen

 

Für drei Tage schlüpften 33 Teilnehmer in die Rollen von Pilgern, Kaufleuten, Studenten, Ordensfrauen, Adligen oder Fürsten. Die Ausgangslage war vorgegeben. Auch die der Professorin, die gegen das System aufbegehrt.

„Was dann folgt, das wissen wir vorher nicht“, betont Heinrich Dickerhoff, der sich das Szenario gemeinsam mit dem evangelischen Kreisjugenddiakon Jens Schulz aus Cloppenburg ausgedacht und als Zusammenarbeit der Katholischen Akademie und der Evangelischen Jugend Oldenburg  angeboten hatte.

 

An das Thema heranführen

 

Heinrich Dickerhoff selbst trägt als der „Hohe Hüter der Einheit“ Hirtenstab und eine Art Bischofsmütze als Insignien seines Amtes. In Grundzügen sind manche Figuren der Reformation zwar erkennbar: der fanatische Professor als Verfechter des Systems, Fürsten, Studenten, die Reformatorin. „Aber wir wollen hier nicht die Reformation nachspielen“, betont Heinrich Dickerhoff. Sondern: auf ungewöhnliche Weise an das Thema heranführen. „Indem die Teilnehmer ein wenig von dem nachempfinden, was damals in der Luft lag.“

So lässt sich auf dem Gelände der Akademie ein buntes Treiben erleben. Alle Spieler sind ausstaffiert mit mittelalterlichen Kostümen als Pilger, Soldaten oder Ordensfrauen. Ein lautes „Geh er mir aus dem Weg“ mischt sich in ein „Gott zum Gruß, ehrwürdige Schwester“. Hier kichern Dorffrauen, dort feilschen Händler.

 

Irritierende Erfahrungen

 

Heinrich Dickerhoff macht vor allen Dingen eine Erfahrung des ersten Tages nachdenklich:  die Begeisterung, mit der die meisten Spieler die Jagd nach Gnadenpunkten mitmachen. Egal ob Linsen sortieren, Bäume rollen, verkotete Wolle reinigen – bei noch so sinnlosen Dingen stehen die Leute Schlange, um Punkte zu ergattern.

Sein Eindruck: „Sobald man es schafft, in die Köpfe von Menschen Levels zu bringen, löst das scheinbar eine Sogwirkung aus. Wenn man denkt: Ich muss es mir verdienen, etwas zu sein.“ Das  lasse sich gut auf das wirkliche Leben übertragen. Egal, ob Pokemons zu jagen seien oder akademische Titel.

 

Die Kritik verhallt zunächst ungehört

 

Da verfangen im Spielverlauf zunächst auch nicht die Thesen der kämpferischen Reformatorin, in deren Rolle die evangelische Pastorin Heike Musolf aus Aurich gegen den Handel mit Gnadenpunkten auftritt: dass alles ein großer Betrug sei, dass man Gnade nicht kaufen könne, dass den Leuten das Geld aus der Tasche gezogen werde.

Ein deutlicher Angriff besonders auf das Gedankengebäude des Dr. Jetzel, den Kreisdiakon Jens Schulz aus Cloppenburg verkörpert. „Die Menschen wollen sich doch von ihrer Schuldhaftigkeit befreien“, säuselt er in seiner Rolle. „Bußübungen, Spenden und Reliquienkauf führen zu einer großen Freude. Deshalb ist es gut und richtig.“

 

Dann wendet sich das Blatt

 

Alles bleibt zunächst ruhig. Bis sich das Blatt langsam zu wenden beginnt. Als die Aufrührerin Barbara von Meinigen einen Giftanschlag auf Dr. Jetzel anzettelt und sich in der Folge die Ereignisse überschlagen.

Mit Putsch und Revolution. Und ganz am Ende mit Frieden und Religionsfreiheit in Porta Gratiae. Nicht, weil es in einem Spielplan steht, sondern, weil die Eigendynamik des Rollenspiels es so wollte.

Live-Rollenspiele
Die Katholische Akademie Stapelfeld lädt regelmäßig zu so genannten Live-Rollenspielen ein. Solche Spiele werden „Larp“ genannt. Das steht als Abkürzung für die englische Bezeichnung „Live Action Role Playing“. Nach Angaben des Deutschen Live-Rollenspiel-Verbands (DLRV) gibt es allein in Deutschland jährlich mehr als 600 öffentlich ausgeschriebenen Veranstaltungen mit Teilnehmerzahlen zwischen unter 20 und über 10.000 Spielern. Seit mehr als 20 Jahren gibt es solche Treffen in Deutschland. Der DLRV geht von 30.000 bis 40.000 aktiven Spielern in Deutschland aus.

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