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Russlands Krieg gegen die Ukraine hat auch seine religiöse Seite - nicht nur, weil der Moskauer Patriarch Kyrill unberührt weiter an Putins Seite bleibt. Das Leid der Menschen ist auch eine Frage an unseren Glauben, sagt Ulrich Waschki in seinem Gast-Kommentar und fragt: Kann dem Allmächtigen seine Schöpfung derart entgleiten?
In diesen Tagen das Glaubensbekenntnis zu sprechen, fällt schwer: „Ich glaube an Gott, den Vater, den Allmächtigen, den Schöpfer des Himmels und der Erde…“ Wirklich? Allmächtiger Vater? Schöpfer? Diese Gottesbild passt so gar nicht zu den Bildern, die uns Tag für Tag aus der Ukraine gezeigt werden: Tote Soldaten und Zivilisten. Ausgebrannte und in Trümmern liegende Häuser. Menschen, die sich ängstlich in dunklen Kellern verstecken. Männer, die sich weinend von Frauen und Kindern verabschieden. Menschen auf der Flucht.
„Jeder Stiefel, der dröhnend daherstampft, jeder Mantel, im Blut gewälzt, wird verbrannt, wird ein Fraß des Feuers.“ Diese Zeilen aus dem Buch Jesaja werden zu Weihnachten in den Messen in der Heiligen Nacht gelesen. Eine Friedenssehnsucht, die Jahrtausende alt ist. Und nichts haben wir Menschen gelernt, scheint es. Wieder stampfen Stiefel dröhnend daher. Niemand scheint ihnen Einhalt gebieten zu können. Kann einem allmächtigen Vater die eigene Schöpfung so entgleiten? Wo ist Gott?
Glaube ist trotziges Ringen
Der Autor
Ulrich Waschki ist Geschäftsführer und Chefredakteur der Verlagsgruppe Bistumspresse in Osnabrück. Er stammt aus Rheine.
Doch unser Gottesbild ist eben nicht zuerst das des allmächtigen Weltenherrschers. Unser Gott hängt am Kreuz. Gemartert und geschunden. Dort hat er die Gottesferne selbst erlebt und gerufen: „Mein Gott, mein Gott, warum hast du mich verlassen?“
Und zu den schrecklichen Bildern gehören dann auch die vielen Zeichen der Hoffnung und Solidarität: Die internationale Gemeinschaft, die zusammensteht. Die Frau, die im Abendkleid im Keller Geige spielt und ihren Familienangehörigen und Nachbarn zumindest einen Moment Ruhe und Frieden verschafft. Die Reporterin, die ihre Live-Schaltung unterbricht, um einem alten Paar auf der Flucht über die Trümmer zu helfen. Die Frau, die im Luftschutzraum einer Gruppe Kindern vorliest. Oder das kleine Mädchen, das mit seinem Gesang im Bunker als Video um die Welt ging. Und die zahllosen Freiwilligen, die an den Grenzen der Ukraine, an den Bahnhöfen oder in unseren Städten den Flüchtenden helfen. „Dass es diese Menschen gibt, zeigt, dass das Gute in der Welt nicht aufhört. Die Liebe wirkt“, hieß es vor ein paar Tagen in einer Predigt.
Dieser Glaube ist ein trotziges Ringen, ein vorsichtiges Hoffen, dass Gott in diesem von Menschen verursachten Leid bei den Leidenden ist. Er ist eine Hoffnung, dass am Ende aller Tage nicht die Putins dieser Welt das letzte Wort haben. Und auch nicht seine Steigbügelhalter, die wie Patriarch Kyrill Verbrechen sogar noch religiös verbrämen. Diese Hoffnung sollten wir uns nicht nehmen lassen.
In unseren Gast-Kommentaren schildern die Autor:innen ihre persönliche Meinung zu einem selbst gewählten Thema. Sie sind Teil der Kultur von Meinungsvielfalt in unserem Medium und ein Beitrag zu einer Kirche, deren Anliegen es ist, die Zeichen der Zeit zu erkennen.