Zum Tod des streitbaren Theologen aus Münster

„Gottesrede mit dem Gesicht zur Welt“ – Johann Baptist Metz

Wie wenige andere hat Johann Baptist Metz die Theologie mit der Frage nach dem Leid, der Ungerechtigkeit, der politischen Bedeutung des Glaubens konfrontiert. Ein Nachruf auf den am 2. Dezember 2019 verstorbenen Professor.

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Ein Satz des evangelischen Theologen Jürgen Moltmann wurde zu einem geflügelten Wort: „Metz ist immer wieder für eine Überraschung gut.“ Moltmann musste es wissen, denn er zählte zu den Freunden von Johann Baptist Metz, einem der bekanntesten Vertreter der katholischen Theologie im deutschsprachigen Raum und ein international geachteter Wissenschaftler und Gesprächspartner.

Mehr als 30 Jahre füllte er die Hörsäle in Münster. Seine Vorlesungen prägten nicht nur Theologie-Studenten, auch Studierende aus anderen Fakultäten fanden Interesse an dem Bayern mit seiner eigenen Sprache und seiner Theologie, die anders war als das Vorlesen aus Lehrbüchern.

Glauben in Geschichte

Die Rede von Gott war für Metz das Bemühen, Glauben in Geschichte und Gesellschaft lebendig zu halten. Er ist insbesondere als Vertreter jener Richtung der Theologie bekannt geworden, „die den Glauben der Privatisierung entreißen und ihn als konstitutives Element in eine neue soziale Ordnung einbringen will“, wie es einmal in einer Würdigung über ihn hieß.

In diesem Sinn trat Metz immer wieder an die Öffentlichkeit und beteiligte sich beispielsweise in den 1970er Jahren an der Debatte zwischen Theologie und moderner Wissenschaft und in der heutigen Zeit an der zwischen aufgeklärter Moderne und erlebnisbetonter Postmoderne.

„Das himmelschreiende Unglück der anderen“

Während der Festakademie zum 80. Geburtstag von Metz 2008 in Münster (von links): Professor Jürgen Werbick, Fundamentaltheologe in Münster, Professor Thomas Sternberg, damaliger Direktor des Franz-Hitze-Hauses, Johann Baptist Metz (+) und der AlttesttamentWährend der Festakademie zum 80. Geburtstag von Metz 2008 in Münster (von links): Professor Jürgen Werbick, Fundamentaltheologe in Münster, Professor Thomas Sternberg, damaliger Direktor des Franz-Hitze-Hauses, Johann Baptist Metz (+) und der Alttesttamentler Professor Erich Zenger (+2010). | Foto: Johannes Bernard

Wiederholt hat Metz Theologie und Kirche aufgefordert, eine „Gottesrede mit dem Gesicht zur Welt“ zu betreiben und die Frage nach dem Leid niemals verstummen zu lassen: „Wer von Gott spricht, nimmt die Verletzung der vorgefassten Gewissheiten durch das himmelschreiende Unglück der anderen in Kauf.“

An der Wurzel der christlichen Theologie schlummere immer auch ein Gerechtigkeitsthema, nämlich die Frage nach der Gerechtigkeit für die ungerecht und unschuldig Leidenden, sagte er bei einer Fest­akademie aus Anlass seines 80. Geburtstags 2008 in der Akademie Franz-Hitze-Haus in Münster.

„Jesu erster Blick gilt dem Leid“

Wer von Gott spreche, müsse immer zwei Bilder vor Augen haben: Deus caritas est – Deus iustitia est (Gott ist die Liebe – Gott ist die Gerechtigkeit). „Deshalb verpflichtet das Christentum nicht auf eine antlitzlose und nach innen gewandte Frömmigkeit, sondern auf eine antlitzsuchende Mystik der offenen Augen“, hat Metz seine Zuhörer zur „Compassion“, zum Mitleiden aufgefordert: „Jesu erster Blick galt nicht der Sünde, sondern dem Leid“, schrieb Metz in einer seiner letzten Schriften 2011 mit dem Titel „Mystik der offenen Augen“.

Die Rede von Gott könne nur sein, wenn sie eine für das Leid der anderen empfindliche Rede ist. Aus diesem Grund müsse die Kirche am Gedanken des Jüngsten Gerichts festhalten: „Wir dürfen das Bild vom Endgericht nicht verharmlosen und der Säkularisierung ausliefern“, warnte Metz und kritisierte ein Kirchenverständnis, das sich mit „sündigen Tätern“ viel leichter tue als mit den unschuldigen Opfern der Menschheitsgeschichte. Das apokalyptische Endgericht bezeichnete Metz als „Gegenstand der Hoffnung, nicht der Angst“.

Wie man von Gott erzählt

In einem Festvortrag würdigte der münstersche Alttestamentler Erich Zenger das theologische Werk von Metz, der von 1963 bis 1993 in Münster lehrte. In zahlreichen Werken sei Metz der Frage nachgegangen, wie man von Gott sprechen könne angesichts der Leidensgeschichte der Welt, meinte Zenger. „Metz hat uns deutlich gemacht: Von Gott erzählen, heißt, von den leidenden Menschen zu erzählen.“

Die christliche Theologie habe lange versucht, den Fragen der Ungerechtigkeiten auszuweichen und stattdessen die Fragen nach der Erlösung der Schuldigen hervorzuheben. Nach Ansicht von Zenger hat Metz mit seinem Wachhalten der Theodizee-Frage, also der Frage, wie die Existenz einen allmächtigen und gütigen Gottes mit dem Bösen in der Welt vereinbar ist, der Theologie immer wieder bedeutsame Gedankenanstöße gegeben.

Gott in der Passionsgeschichte der Menschheit

1998 diskutierten die Theologen Johann Baptist Metz und Joseph Ratzinger in Ahaus miteinander. 1998 diskutierten die Theologen Johann Baptist Metz und Joseph Ratzinger in Ahaus miteinander. Wenig später erschien aus den Vorträgen im Verlag Matthias Grünwald ein Buch unter dem Titel "Ende der Zeit? – Die Provokation der Rede von Gott".

In einer seiner letzten Vorträge 2011 in Münster ging Metz der Frage nach Gott angesichts der abgründigen Leidensgeschichte der Welt, „seiner“ Welt, nach. Diese Frage sei nicht formuliert im Sinn einer griechisch-philosophischen Theodizee, sondern im Stil der apokalyptisch-biblischen Theodizee, in der diese Frage als Schrei in der Situation und der Sprache der Glaubenden selbst auftaucht, „sodass sich darin das Gottesgedächtnis der biblischen und christlichen Traditionen von vornherein mit der Passionsgeschichte der Menschheit verbindet“.

An der Wurzel der christlichen Gottesrede schlummere immer auch ein Gerechtigkeitsthema, die Frage nach der Gerechtigkeit für die unschuldig und ungerecht Leidenden. Christen müssten nicht nur Praktiker, sondern auch Mystiker dieser Gerechtigkeit sein, Mystiker einer Compassion, einer Mitleidenschaft, meinte Metz.

Was Metz als 16-jähriger Soldat erlebte

Es ist diese Memoria Passionis, das Gedächtnis des Leidens, der Leidenden, das Nicht-Vergessen-wollen derer, die unschuldig gelitten haben, die Metz immer wieder in den theologischen Diskurs brachte.

Prägend für sein Denken war ein Erlebnis als 16-jähriger Soldat. Gegen Ende des Zweiten Weltkriegs wurde er mit vielen anderen Jugendlichen von der Schulbank an die Front geschickt. Nach einem Dienstgang kehrte er zurück und fand die Gruppe seiner Kameraden tot vor, wie er ein er autobiografischen Notiz festhielt: „Ich irrte die Nacht über durch zerschossene, brennende Dörfer und Gehöfte, und als ich am Morgen darauf zu meiner Kompanie zurückkehrte, fand ich nur noch Tote, lauter Tote. Ich konnte ihnen allen, mit denen ich noch tags zuvor Kinderängste und Jungenlachen geteilt hatte, nur noch ins erloschene tote Antlitz sehen. Ich erinnere nichts als einen lautlosen Schrei.“

Wie kann Gott das Leiden zulassen?

Das Bild der Toten hat sich dem Gedächtnis des damals 16-Jährigen eingegraben und blieb dem späteren Theologen zeitlebens als Frage mit auf den Weg gegeben: Was ist mit jenen Toten? Was ist mit den ungezählten unverschuldet Leidenden? Wie kann man von Gott und seiner Gerechtigkeit sprechen angesichts des Elends und des Unrechts in der Welt, das so viele verzweifeln lässt?

Es sind Fragen, die Metz nie losgelassen haben. Er weitete sie im Nachdenken über eine Christologie nach Auschwitz und die Kirche nach Auschwitz. Er stellte sich dem Wort des jüdischen Philosophen und Auschwitz-Überlebenden Elie Wiesel: „Der nachdenklich Christ weiß, dass in Auschwitz nicht das jüdische Volk gestorben ist, sondern das Christentum.“

Wo war Gott in Auschwitz?

In der kritischen Aufarbeitung der Theologie-Geschichte in den 1960er Jahren war es Metz, der Antworten gab. Als ihn der tschechische Philosoph Milan Machovec fragte, ob es denn für Christen nach Auschwitz noch Gebete geben könne, hatte Metz geantwortet: „Wir können nach Auschwitz beten, weil auch in Auschwitz gebetet wurde – im Gesang, im Geschrei der jüdischen Opfer.“

Den selbstkritischen Blick auf das Christentum formulierte er mit den Worten: „Ist womöglich zu viel Gesang und zu wenig Geschrei in unserem Christentum? Zu viel Jubel und zu wenig Trauer, zu viel Zustimmung und zu wenig Vermissen?“

Zeitlebens blieb Metz ein kritischer Beobachter des Zeitgeistes. Kaum ein anderer Theologe pflegte so sehr das Gespräch mit dem Marxismus, aber auch mit der Frankfurter Schule um die Philosophen Theodor W. Adorno, Max Horkheimer und Jürgen Habermas, mit dem er befreundet war. Innerkirchlich unterstützte er viele lateinamerikanische Befreiungstheologen gegen Bevormundung aus der römischen Kurie.

Die Autorität der Leidenden

Metz hat viele Gedankenanstöße und Schriften hinterlassen. Gibt es eine Zusammenfassung? Er habe, wie er einmal sagte, in seinem Opus ein theologisches Konzept formuliert in der Betonung des Respekts vor und des Gehorsams gegenüber der Autorität der Leidenden. „Diese Autorität ist für mich die einzige, in der sich die Autorität des richtenden Gottes in der Welt für alle Menschen manifestiert.“

Im Advent 1999 blickte er weit voraus: „Und dann dürfen wir unser müde gesunkenes Haupt aufrichten, unsere Lichter anzünden und unsere Lieder singen, leise und lauschend, ob der schon mitsingt, der unsere selige Zukunft ist: Gott selbst.“ Am 2. Dezember 2019 ist Johann Baptist Metz in Münster gestorben.

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