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In den vergangenen drei Wochen ist auf dem Kirchplatz von St. Dionysius in Havixbeck eine Graffiti-Krippe entstanden. Das Jesuskind sucht man in ihr vergeblich. Was gewollt ist.
Die Krippenszene gibt es hier nicht. Kein Stall, keine heilige Familie, nicht mal Engel. Aber bunt ist es, richtig farbenfroh. Schriftzüge, Linien und Punkte – zumindest ein paar Sterne und Kerzen erinnern daran, dass es sich hier tatsächlich um eine Krippe handeln soll, um eine „Graffiti-Krippe“. Auf dem Platz vor der St.-Dionysius-Kirche in Havixbeck ist sie von Kindern, Jugendlichen und Passanten geschaffen worden.
„Wir können als Kirche nicht immer nur sagen: Kommt herein und schaut, was wir hier Tolles haben“, erklärt Pastoralreferent Christoph Schulte die Aktion. „Wir müssen raus und den Menschen die Chance geben, sich selbst ein Bild zu machen.“ Die gab es in Havixbeck an den vergangenen drei Freitagen. Jeder, der wollte, durfte sich eine Spraydose schnappen und eine Stellwand damit verzieren. Das Leitwort entwickelte sich dabei von Aktionstag zu Aktionstag. „Gott“ hieß es am ersten, „Gott wird“ am zweiten und „Gott wird Mensch“ am dritten Freitag.
Abstrakte Vorgaben
Auch, wenn das Jesuskind als Figur fehlt: „Mehr Jesus als ›Gott wird Mensch‹ geht ja gar nicht“, sagt Schulte. Er gibt aber zu, dass das für viele sehr abstrakt war. „Dadurch ließ es aber auch viel Raum für Interpretationen.“ Herausgekommen sind Dinge, die vielleicht nicht sofort mit der zentralen Weihnachtsbotschaft der Menschwerdung in Verbindung gebracht werden können. Herzen sind zu sehen, kleine Männchen, Gesichter oder Sonnenstrahlen.
„Warum nicht?“, fragt Pfarrer Siegfried Thesing. „Jeder hat seine eigene Idee von dieser Botschaft – wir wollen das nicht reduzieren.“ Zu dieser Aktion gab es in der Pfarrgemeinde unterschiedliche Meinungen. Nicht jeder konnte sich mit ihr anfreunden, sagt er. „Wir wollen damit nichts gegeneinander ausspielen“, sagt der Pfarrer. Beides hat in Havixbeck seinen Platz: Hier das Farbenmeer aus der Sprühdose. Einige Meter weiter werden in den kommenden Tagen die traditionellen Krippenfiguren in der frisch renovierten Kirche aufgestellt.
Traditionen aufbrechen
Das Graffiti wird vor der Tür bleiben. Und damit auch ein Zeichen des Zwiespalts sein, in dem sich die Kirche derzeit bewegt, erklärt Schulte. „Wir müssen Tradition erhalten und gleichzeitig aufbrechen.“ Das gilt in den Augen des Pastoralreferenten vor allem auch zu Weihnachten. „Das reden wir Christen oft alles blumig, obwohl die Aussage, dass Gott Mensch wird, zumal in diese Notsituation, ziemlich heftig ist.“ Vor der Tür der Kirche ist das vielleicht deutlicher geworden als vor der beschaulichen Krippe drinnen.
Elise Geertse bestätigt das. Die Kunsttherapeutin hat das Projekt geleitet und war begeistert von dem Enthusiasmus, mit dem sich vor allem die Kinder in die Arbeit gestürzt haben. Obwohl sie einige Schablonen mit weihnachtlichen Motiven vorbereitet hatte, griffen die meisten doch lieber zu ihrer persönlichen Interpretation. „Viele haben ihre Gefühle aufgeschrieben oder gemalt“, sagt sie. „Liebe“ war ein häufiges Wort oder „Hoffnung“. Nicht alle Schriftzüge sind jetzt noch zu sehen, einige sind schon wieder übersprüht worden. „Das macht nichts“, sagt Geertse. „Wichtig ist, dass die Wünsche noch da sind, wenn auch verborgen.“