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Am 25. November ist Internationaler Tag zur Beseitigung von Gewalt gegen Frauen. In Ibbenbüren finden Betroffene Hilfe beim SkF - ein Besuch.
Auf Sandra F. (Name geändert) lastete ungeheurer Druck: Die Beziehung der heute 49-Jährigen war schon seit einigen Jahren eine Qual. Ihr Mann kontrollierte sie rund um die Uhr. Kontakte zu anderen Menschen unterband er, nur für ihre Arbeit im Supermarkt durfte sie die Wohnung verlassen, das Gehalt kassierte er ein. Er verfolgte sie auf ihrem Weg zum Job, fragte sie ständig aus, ließ ihr kaum Luft zu atmen. „Ich war psychisch am Ende.“
Lange Zeit hielt Sandra F. stand, irgendwann aber ging es nicht mehr. Sie nahm Kontakt zum Sozialdienst katholischer Frauen (SkF) in Ibbenbüren auf. Mit einem Umweg über das Frauenhaus Rheine kam sie ins SkF-Wohnhaus für Frauen in Notfallsituationen.
150 Frauen in 30 Jahren im Not-Wohnhaus
„Das war der Wendepunkt“, sagt Sandra F.. „Auch wenn der Weg in meine heutige Unabhängigkeit noch lang war, er begann in der kleinen Wohnung dort, in der ich erstmals Sicherheit und Freiheit spürte.“
Knapp 150 ähnliche Schicksale haben Frauen mit ihren Kindern in den vergangenen 30 Jahren in das Haus in Ibbenbüren gebracht. Alle suchten einen Ausweg aus unerträglichen familiären Situationen – aus Gewalt, Vernachlässigung, Ängsten.
Bewohnerinnen jeden Alters waren dabei, wohnten dort nur ein paar Wochen, manchmal viele Monate. Ziel war, die Frauen soweit zu stabilisieren, dass sie wieder in der Lage waren, möglichst innerhalb eines Jahres ihr Leben aus eigener Kraft selbstständig und eigenverantwortlich zu führen.
SkF: Not ist weiterhin vorhanden
„Der Bedarf damals war groß“, erinnert sich Marita Prigge an den Start der Einrichtung, die die Sozialpädagogin viele Jahre geleitet hat. Anfragen kamen von allen Seiten, etwa von sozialen Einrichtungen, Behörden, Anwälten und Betreuerinnen. „Die erste Frau zog schon ein, da war das Haus noch gar nicht eröffnet.“
Der Bedarf ebbte nie ab. Immer überstieg die Zahl der Suchenden das Angebot in den anfangs fünf, inzwischen aus räumlichen Kapazitätsgrenzen nur noch drei bereit stehenden Wohnungen. 2023 fragten 24 Frauen an, nur vier konnten einziehen.
Not hat viele Facetten
„Deswegen ist das unser Jubiläum eigentlich ein trauriges“, sagt Prigge. „Es macht mich betroffen, wenn ich fragen muss: Hat sich denn gar nichts geändert?“
Es gilt in ihren Augen immer zu schauen, wo die Not am größten ist. Das ist nicht leicht, hat sie doch viele Gesichter. Die Frauen kommen auch aus der Obdachlosigkeit oder psychotherapeutischen Einrichtungen. „Es kam auch einmal eine 80-Jährige, die in ihrer kleinen Handtasche nur Unterwäsche mitbrachte.“
Was sich nach einem Einzug verändert
Wer einzieht, macht in der Regel einen großen Schritt. Das ist sofort zu sehen, sagt Elisabeth Middendorf. „Es ändert sich etwas in den Gesichtern der Frauen.“
Weil es plötzlich nicht mehr ums Überleben geht, sondern viel von dem da ist, was sie vorher nicht hatten, weiß die SkF-Sozialarbeiterin, die ebenfalls einige Jahre für das Wohnhaus zuständig war. „Nicht nur Ruhe und Sicherheit, auch ein voller Kühlschrank, Alltagshilfen von unseren Mitarbeitenden oder die Möglichkeit, mit den Kindern im Garten zu spielen.“
Frauen schöpfen neue Kraft
Das bringt Ressourcen zurück. Die Betroffenen haben wieder Kraft, neue Perspektiven zu entwickeln. Bei der Suche nach Arbeit oder Wohnraum können sie sich Unterstützung holen. Auch bei allen anderen bürokratischen und organisatorischen Fragen stehen ihnen die Fachkräfte des SKF zur Seite.
Ob es am Ende immer der eigenständige Weg abseits des alten Umfelds ist, bleibt dabei offen. „Es ist natürlich toll, wenn sie sich lösen können und eine neue Perspektive finden“, sagt Prigge. „Es ist aber auch in Ordnung, wenn sie in die alte Beziehung zurückkehren – nur anders: stärker, selbstbewusster und bestimmender.“
Betroffene stehen sich auch untereinander bei
Das immerhin gelingt immer. Auch, weil die Solidarität der Frauen im Haus hilft. „Wenn ein Mann das Zugangs-Verbot nicht einhalten will, stellt sich auch mal eine andere Frau in die Tür und sagt: Bis hierher und nicht weiter!“
Prigge freuen solche Anzeichen wachsenden Selbstvertrauens. Genauso wie der Anruf einer Frau bei der Polizei, als ihr Mann nachts mit seinem LKW laut hupend vor dem Haus auf- und abfuhr.
Nicht jeder Weg verläuft gerade
Es sind viele Mut machende Geschichten, die in dem Wohnhaus für Frauen in Notsituationen in den vergangenen 30 Jahren begonnen haben. Auch wenn die Wege nicht immer gerade waren.
Wie auch bei Sandra F.: Zwischen zwei Aufenthalten kehrte sie noch einmal zu ihrem Mann zurück, bis sie endgültige Entscheidungen treffen konnte. Heute ist sie geschieden, hat aber zwischendurch noch Kontakt zu ihm. Entscheidend aber ist: „Wenn ich ein Treffen beende und ihn wegschicke, akzeptiere ich kein Nein mehr.“