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Der renommierte Mittelalter-Historiker Johannes Fried behauptet, Jesus sei nicht auf Golgatha gestorben, sondern zur scheintot gewesen. Eine gewagte Theorie.
Es ist eine ungewöhnliche, gewagte These, die in diesem schmalen Buch präsentiert wird: Jesus ist demnach nicht am Kreuz gestorben, sondern hat Geißelung und Folterung überlebt! Er habe eine Lungenverletzung erlitten, sei am Kreuz in eine todesähnliche Kohlendioxidnarkose gefallen – und später dem Grab entkommen. Das jedenfalls behauptet der Autor, der sich auf neue medizinische Erkenntnisse beruft.
Nun könnte man seine These gleich als Verschwörungstheorie eines Spinners abtun, wäre nicht der Verfasser ein renommierter Wissenschaftler: Johannes Fried, heute 76, ist emeritierter Professor für Mittelalterliche Geschichte an der Universität Frankfurt. Er leitete von 1996 bis 2000 den Verband der Historikerinnen und Historiker Deutschlands, hat unter anderem eine viel gelobte Biographie über Karl den Großen geschrieben und ist für seine wissenschaftlichen Werke über das Mittelalter mehrfach ausgezeichnet worden.
Nicht irgendein Autor, nicht irgendein Verlag
Fried, übrigens Sohn eines Pfarrers, ist also nicht irgendein Autor – und auch der traditionsreiche Verlag C.H. Beck, der sein Buch „Kein Tod auf Golgatha“ veröffentlicht hat, gilt als seriös. Allerdings hat der Historiker schon mehrfach Aufsehen erregt: so mit der umstrittenen Behauptung, den Ordensgründer Benedikt von Nursia habe es nie gegeben.
Nun weiß auch Fried, dass ihm seine neueste Abhandlung, wie er im Vorwort schreibt, „endlosen Widerspruch und Feindschaften einbringen wird“. Widerspricht doch seine Hypothese vom überlebenden Jesus dem, was Christen im Glaubensbekenntnis in jeder Sonntagsmesse feststellen: „Gekreuzigt, gestorben und begraben“ – und auferstanden.
Rolle des Johannes-Evangeliums
Fried stützt sich vor allem auf das Johannes-Evangelium, das jüngste der vier Evangelien. Es biete den detailliertesten Bericht zu Jesu Tod am Kreuz. Der Stich eines römischen Soldaten mit einer Lanze, bei dem Blut und Wasser aus der Wunde flossen, habe Jesus das Leben gerettet. Er sei nur scheintot gewesen. Joseph von Arimathäa und Nikodemus hätten sich um die Bestattung gekümmert.
Doch das Grab sei leer geblieben, weil Jesus überlebt habe, ist Fried überzeugt. Er spricht sogar von sich wechselseitig ergänzenden Indizien. Anschließend könnte sich Jesus nach Angaben des Autors in der Dekapolis östlich und südlich vom See Genesareth aufgehalten haben oder in Ägypten oder Ostsyrien.
Belege apokrypher Evangelien
Als Belege für solche Vermutungen greift Fried vor allem auf die apokryphen Evangelien zurück – also auf antike Texte, die nicht in das Neue Testament aufgenommen wurden. Breiten Raum nehmen auch die Gedanken des Theologen Marcion ein, der im zweiten Jahrhundert lebte und als Irrlehrer gilt.
Das Buch:
Johannes Fried
Kein Tod auf Golgatha – Auf der Suche nach dem überlebenden Jesus
189 Seiten, gebunden, 19,95 €
ISBN: 978-3-406-73141-9
C.H. Beck Verlag
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Glaubwürdig wirken Frieds Ausführungen dadurch nicht. Hinzu kommt, dass seine Annahmen reichlich spekulativ sind. Die Überlegungen sind zu wenig durch verlässliche Quellen gestützt. Es ist erstaunlich, dass ein so anerkannter Historiker wie Fried sich so aufs Glatteis begibt, seinen guten Ruf riskiert und sich derart auf vage Indizien verlässt. Seine Argumentationskette lässt sich weder belegen noch widerlegen.
Söding greift Frieds Thesen scharf an
Aber es sieht nicht so aus, als ob die Geschichte des Christentums nach diesem Buch nun völlig neu geschrieben werden müsste. Der in Bochum lehrende katholische Theologe Thomas Söding hat Frieds Argumentation scharf kritisiert. Söding nannte sie im Gespräch mit der Katholischen Nachrichten-Agentur „Nonsens“ und eine „luftige Konstruktion, die keiner wissenschaftlichen Prüfung standhält“. Dennoch wird das flüssig geschriebene Werk vermutlich seine Leser finden – neue Theorien über Jesus laufen immer.