BIBEL AM SONNTAG (Heilige Familie/C)

Daniel Hörnemann: Eine zerbrechliche Idylle

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Gott wird Mensch - in einer Familie. Keineswegs in einer gewöhnlichen. Pater Daniel Hörnemann OSB legt die Lesungen vom Fest der Heiligen Familie aus.

Was für ein Zeitsprung: Gestern war es noch das Kind in der Krippe, heute haben wir es mit dem zwölfjährigen Jesus im Tempel zu tun. Was dazwischen war, davon schweigt das Evangelium. Es will eben nur auf Wesentliches hinweisen. 

Alles andere füllt die Fantasie auf, etwa in Nazarener-Bildern der Heiligen Familie, wie der Junge Jesus beim Pflegevater in die Handwerkerlehre geht und lernt, mit Hammer, Axt und Säge umzugehen. Da wären die Weisungen des Jesus Sirach doch erfüllt: „Wer den Vater achtet, wird lange leben, und wer seiner Mutter Ehre erweist, der erweist sie dem Herrn“ (Sir 3,6).

Pubertäre Revolte?

Die Lesungen vom Fest der Heiligen Familie / Lesejahr  C zum Hören finden Sie hier.

Nun aber eine pubertäre Revolte? Oder die Klarstellung, „jetzt sind wir Kinder Gottes“ (1 Joh 3,2), dass nämlich Jesus nicht nur Kind seiner Eltern ist, sondern vor allem zu den Kindern Gottes gehört.

So richtet das Evangelium den Blick auf die Eltern, die ratlos nach ihrem vermissten Sohn herumfragen und ihn stundenlang überall suchen. Ihre Verzweiflung kann wohl nur mitfühlen, wer selbst schon einmal ein Kind unversehens in einer unüberschaubaren Riesenmenge verloren hat, wobei sich alle möglichen Horrorvorstellungen in Kopf und Herz einnisten. 

Loslassen und Trennungsschmerz

Jesus jedoch hat seinen Ort längst gefunden und stellt die trockene Frage „Warum sucht ihr mich überhaupt?“ Mit dem Erreichen von zwölf Lebensjahren gehörte ein jüdischer Junge voll der Gottesdienstgemeinde an. Der Junge Jesus bleibt einfach und ungefragt im Jerusalemer Tempel und erwidert seinen besorgten Eltern schlicht und geradezu selbstverständlich, dass er „in dem sein muss, was meinem Vater gehört“. 

Am Ende ging er zwar gehorsam mit seinen Eltern gemeinsam nach Nazareth zurück. Aber in dieser Szene wird unmissverständlich deutlich: Auch und gerade die heilige Familie treffen Erfahrungen von Aufbruch, Loslassenmüssen und Trennungsschmerz.

Ich brauche das

In einer Auslegung zu dieser Perikope fand sich der bemerkenswerte Hinweis auf die Akzentsetzung. Nicht „ich muss in dem sein, was meinem Vater gehört“, also von außen gezwungen, sondern „ich muss in dem sein, was meinem Vater gehört, es ist mein Begehr, ich brauche das, für mich ist das wichtig!“ Der heranwachsende Menschensohn Jesus spürt wohl immer deutlicher, dass er letztlich Gottes Sohn ist und das Haus Gottes braucht. Hier findet die Herbergssuche ihr besonderes Ziel. Wenngleich nur auf Zeit, denn dieser Jesus hat es zeitlebens nie lange an einem Ort ausgehalten.

Wir brauchen sogenannte Andersorte. Orte, an denen wir unsere Alltagswelt mit all ihren kleinen und großen Wichtigkeiten verlassen können, um sie zu relativieren und einen neuen, größeren Horizont zu gewinnen. Orte, an denen ich einfach sein kann, ohne etwas leisten oder darstellen zu müssen, wo ich Ruhe und Gleichgewicht wiederfinde, an denen mir wieder deutlich wird, dass es mehr gibt als das, warum ich mich gerade sorge, und dass es einen gibt, der auf mich wartet und für mich sorgt, der meinem Leben Richtung und Ziel schenkt.

Jesus relativiert seine Familie

Jesus selbst hat dafür sogar seine Familie relativiert. Geradezu schroff hat er mehrfach darauf verwiesen, dass seine Verbindung zum himmlischen Vater über allem steht, auch über verwandtschaftlichen Bindungen.

So steht es in seiner Logik, dass er die eigene Familie draußen stehen lässt und die zu Brüdern, Schwestern und Mutter erklärt, die den Willen des Vaters erfüllen (vgl. Mk 3,35). Bereits zur „heiligen Familie“ gehörten die Erfahrungen von Trennung, Unverständnis, Schmerz, Seelenleid, Aufbrechen- und Abgebenmüssen. Gerade zu Weihnachten spüren wir, wie zerbrechlich eine gemachte Idylle sein kann.

Sehnsucht nach dem Kind

Den verklärenden Blick auf eine idealisierte, romantisierte heilige Familie müssen wir hinter uns lassen, zu Gunsten des Blickes auf Vorbildfiguren wie den in seinen Taten, nicht in seinen Worten sprechenden Ersatzvater Josef, der ebenso Herausforderungen anzunehmen lernt wie seine junge Frau Maria, die bereit ist, die Konsequenzen aus Gottesbegegnungen heraus zu tragen. Beide trieb die Sehnsucht nach ihrem Kind, bis sie den neu fanden, den sie suchten.

Wen suchen wir? Wen suche ich?

Sämtliche Texte der Lesungen vom Fest der Heiligen Familie / Lesejahr C finden Sie hier.

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