Publizist sprach auf Jubiläumsfeier „100 Jahre Caritas Rheine“

Heribert Prantl: „Demokratie ist das erfolgreichste Betriebssystem“

  • Anlässlich des Jubiläums „100 Jahre Caritas Rheine“ sprach der langjährige Journalist der „Süddeutschen Zeitung“, Heribert Prantl, über die Bedeutung des Sozialstaates für die Demokratie.
  • Geringe Wahlbeteiligungen bei den politischen Wahlen seien ein Alarmzeichen, sagte Prantl.
  • Caritasverbände sollen weiterhin für eine menschenwürdige Gesellschaft eintreten.

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„Demokratie ist das beste und erfolgreichste Betriebssystem, was eine Gesellschaft zu bieten hat.“ Mit dem klaren Bekenntnis, für die Demokratie besonders in Krisenzeiten zu streiten, machte der renommierte Publizist und Kolumnist Heribert Prantl mehr als 300 Mitarbeitenden der Caritas Rheine Mut, die demokratischen Werte zu verteidigen.

Das frühere Mitglied der Chefredaktion der „Süddeutschen Zeitung“ hielt den Festvortrag zum Jubiläumsakt „100 Jahre Caritas Rheine“, der nach einem Festgottesdienst in der Basilika St. Antonius begangen wurde. Prantl’s Thema lautete „Betriebssystem Demokratie“.

Mehr Teilhabe und soziale Gerechtigkeit

Mit Sorge sieht Prantl eine Entfernung vieler Menschen von der Demokratie. Die geringen Wahlbeteiligungen, etwa jüngst bei der Landtagswahl am 15. Mai 2022 in Nordrhein-Westfalen, als nur noch 55 Prozent der Wahlberechtigten den Gang zur Wahlurne beschritten haben, seien ein Alarmzeichen: „Wir brauchen mehr Partizipation, Teilhabe und soziale Gerechtigkeit. Und dafür brauchen wir die Caritas“, sagte der Publizist.

Es sei eben auch ein Auftrag der Caritas, Demokratie zu fördern und den starken Sozialstaat einzufordern: „Sozialstaat heißt, den Menschen Rechte und Würde zu geben.“ Gerade in Krisenzeiten wie der Corona-Pandemie sei es erforderlich, Belastungen gerecht zu verteilen und halt nicht die Schwächsten noch mehr zu belasten und ganze Gruppen zu benachteiligen. Zu den Verlierern zählten zuletzt ältere Menschen, Kinder und Jugendliche, Menschen mit Behinderungen und Kulturschaffende, die unter den Einschränkungen der Corona-Schutzmaßnahmen besonders gelitten hätten.

Beschränkungen der Grundrechte

Weihbischof Hegge
Weihbischof Christoph Hegge hielt den Festgottesdienst in der St.-Antonius-Basilika in Rheine.  | Foto: Johannes Bernard

Die Einschränkungen von Grundrechten dürften nur temporär und behutsam eingesetzt werden. „Corona hat Freundschaften vergiftet, Lebensrhythmen zerstört, es gab Exklusion und Isolation für Menschen mit Behinderung. Und wieder traf eine Krise die Schwächsten“, brachte es der Journalist auf den Punkt.

Die Zeiten der Angst seien auch jetzt nicht vorbei, diagnostizierte Prantl: Der Krieg in der Ukraine, die schwierige Versorgung der Weltbevölkerung mit Nahrungsmitteln und die hohen Preissteigerungen bei Energie und Lebensmitteln verunsicherten viele Menschen und könnten die Demokratie beschädigen.

Armutszeugnis „Tafel“

Eine Aufgabe der Caritas sei es deshalb, in diesen unsicheren Zeiten zu helfen, „den inneren Frieden der Menschen zu stabilisieren“. Die Menschen müssten wissen, wo sie verlässliche Hilfe bekämen.

Es sei eine Schande für den Sozialstaat, wenn es „Tafeln“ zur Ausgabe günstiger Lebensmittel benötige, meinte Prantl: „Was soll man von einem Sozialstaat halten, in dem Menschen ihrer Armut wegen öffentlich sichtbar Schlange stehen müssen für kostenlose Lebensmittel?“

Lehren aus der Geschichte

Zu den großen Herausforderungen der Gesellschaft gehören nach Ansicht von Prantl die Bildungsgerechtigkeit, die Integration von Zuwanderern und die Überwindung der Kinder- und Jugendarmut: „Wir können nicht Millionen Menschen in Armut belassen. Wir haben in Deutschland das Geld, dagegen etwas zu tun. Es ist Aufgabe des Sozialstaats, Menschen aus der Armut zu holen.“ Nur so könne langfristig die Demokratie weiter bestehen.

Eine Rückschau auf die Gründung des Caritasverbandes Rheine vor 100 Jahren – der Verband gründete sich 1921 – hielt Prantl mit Erwähnung der damaligen Umstände: 1921 ermordeten Rechtsradikale den demokratischen Zentrumspolitiker Matthias Erzberger, Hitler wurde offiziell Vorsitzender der NSDAP und die Inflation jener Zeit vernichtete alle Ersparnisse.

Achtung vor dem Grundgesetz  

Es gelte, heute wieder das Bewusstsein für das Grundgesetz zu schaffen, das für alle hier lebenden Menschen gelte. „Das 1949 geschaffene Grundgesetz entstand nach Krieg und Zerstörung, nach Holocaust und Diktatur. Es legt Menschenrechte und Menschenwürde fest. Dieses Grundgesetz sollten und müssen wir verteidigen“, appellierte Prantl an die Caritas-Mitarbeitenden.

In dem Festgottesdienst in der St.-Antonius-Basilika erinnerte Weihbischof Christoph Hegge an die Gründung der organisierten Caritas-Arbeit in Rheine: 1917, mitten im Ersten Weltkrieg, kam Kaplan Joseph Sievert nach Rheine. Wie sich bald zeigte, erkannte er die Notwendigkeit, auch in Rheine eine „Ordnung der Liebestätigkeit“ zu schaffen.

Caritas-Gründung in Rheine

Diese etwas veraltete Formulierung beschrieb das Vorhaben, verschiedene wohltätige Organisationen aus Rheine in Einklang zu bringen. In Münster hatte er 1916 die Gründung des Caritasverbands für die Diözese miterlebt und fünf Jahre später, am 8. Juli 1921, in Rheine einen Verein gegründet, der die Bezeichnung erhielt „Katholischer Caritas-Ausschuss zu Rheine e.V.“. Daraus entstand später der Caritasverband Rheine.

Hegge, der aus Rheine stammt, würdigte ebenso das Wirken des langjährigen Caritas-Pfarrers Wilhelm Trappe, der in den 1960er und 1970er Jahren zahlreiche soziale Dienste aufbaute. „Caritas ist praktizierte Nächstenliebe“, sagte Hegge. Durch das karitative Handeln bekomme der Glaube „Hände und Füße“.

Ein sympathischer Verband

In Grußworten würdigten Münsters Generalvikar Klaus Winterkamp und der nordrhein-westfälische Gesundheitsminister Karl-Josef Laumann (CDU) das Engagement des Caritasverbands. Winterkamp, der mehrere Jahre Diözesancaritasdirektor war, bezeichnete die Caritas Rheine als „authentisch und sympathisch“.

Laumann hob die Bedeutung der Caritas-Dienste hervor und unterstrich die Bedeutung der christlichen Soziallehre für die Gestaltung einer gerechten Gesellschaft: „Der Sozialstaatsgedanke ist stark von den Ideen der katholischen Soziallehre geprägt.“ Heute gelte es, die soziale Marktwirtschaft weiterzuentwickeln, die ökologischen Herausforderungen anzunehmen und einer vielfältigen Gesellschaft einen Rahmen zu geben, sagte der CDU-Politiker.

Dank an die Caritas-Mitarbeitenden

Während des Festakts danken die beiden Caritas-Vorstände in Rheine, Dieter Fühner und Ludger Schröer, ihren Mitarbeitenden für das Engagement im Berufsalltag und darüber hinaus. Die Arbeit des Verbands genieße eine hohe Wertschätzung in der Stadt und den umliegenden Gemeinden.

Chronik zum 100-jährigen Caritas-Bestehen
Der Caritasverband Rheine hat 2021 ihren 100. Geburtstag begangen. Das Jubiläum nahm der Verband zum Anlass, eine Bilderchronik zu erstellen. Auf 224 Seiten werden reich bebildert die Höhen und Tiefen des Verbandes beschrieben. Bilder und Geschichten aus den verschiedenen Arbeitsbereichen und Einrichtungen wurden zusammengetragen. Anhand von 100 Ereignissen wird dargestellt, wie eng die Caritas mit der Stadt Rheine und den umliegenden Gemeinden verbunden ist. Die Chronik kann im Caritas-Haus an der Lingener Straße 11 in Rheine zum Preis von 15 Euro erworben werden. Bestellungen sind auch per Mail an chronik@caritas-rheine.de möglich.

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