Das sagt der zuständige Regionalbischof Rolf Lohmann dazu

Herrscht am Niederrhein ein pastoraler Notstand?

Spätestens ab Sommer 2018 sind fünf große Pfarreien am Niederrhein ohne leitenden Pfarrer. Mit fast 60.000 Gläubigen ist dann ungefähr ein Zehntel der Region ohne Leitung. Im Interview erklärt Weihbischof Rolf Lohmann, wie es am Niederrhein weiter geht.

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Spätestens ab Sommer 2018 sind fünf große Pfarreien am Niederrhein ohne leitenden Pfarrer. Mit fast 60.000 Gläubigen ist dann ungefähr ein Zehntel der Region Niederrhein/Recklinghausen ohne Leitung. Im Interview erklärt der Weihbischof für die Region, Rolf Lohmann, wie es am Niederrhein weiter geht.

Herr Weihbischof Lohmann, herrscht am Niederrhein ein pastoraler Notstand?

Sicher, es ist schon problematisch, dass so viele Pfarrstellen neu besetzt werden müssen, auch wenn die Ausgangslagen unterschiedlich sind. Dennoch würde ich nicht von einem seelsorgerischen Notstand sprechen. Denn in allen Pfarreien sind weitere Seelsorger tätig.

Bei allem Verständnis für die Notlage sollten wir den Blick nicht alleine auf die leitenden Pfarrer fokussieren. Doch eines ist klar: Wir machen uns in der Bistumsleitung große Sorgen. Und es ist eine dringende Aufgabe, die Pfarreien wieder mit einem Pfarrer zu besetzen.

Gibt es bereits konkrete Überlegungen, in den Pfarreien Dinslaken, Kamp-Lintfort, Kleve-Materborn, Kerken und Wachtendonk-Wankum die vakanten Stellen wieder zu besetzen?

Weihbischof Rolf Lohmann. | Foto: Jürgen Kappel
Weihbischof Rolf Lohmann. | Foto: Jürgen Kappel

Ich habe in den vergangenen Wochen intensiv mit den Seelsorgeteams, den Gremien und den Gläubigen in den betroffenen Pfarreien gesprochen, oft begleitet vom Personalchef Karl Render. Die wichtigste Aufgabe ist es, den Vertretern der Gemeinden zuzuhören. Ich berichte dann, dass es keine Personalkonferenz auf Bistumsebene gibt, die dieses Problem nicht thematisiert. Im Bischöflichen Amtsblatt sind die Pfarrstellen ausgeschrieben. Wir hoffen, dass sich Priester bewerben und wir die Stellen wieder besetzen können.

Darüber hinaus haben Karl Render und ich auch mit Personen gesprochen. Über diese Gespräche kann ich zurzeit jedoch nicht mehr sagen. Wir tun alles, um diesen Unzustand zu beheben.

Was sagen Sie den Gremien und Gläubigen angesichts des Unmuts, der in den Pfarreien herrscht?

Der Unmut ist ja verständlich. Wäre ich in der Situation eines Pfarreiratsmitglieds, wäre ich auch über manche Entwicklungen verärgert. Wir vom Bistum müssen lernen, die Interessen der Pfarren und ihrer Gremien besser im Blick zu haben und Dinge abstellen, die bei uns nicht gut laufen. Aber eins muss ich hier klar und deutlich sagen: Uns fehlen Berufungen, sei es als diözesane Priester, Ordensgeistliche oder als hauptamtliche Pastoralreferenten. Wir haben diesbezüglich wirklich Probleme. Es ist nicht redlich, jetzt so zu tun, als wenn die Menschen Schlange stünden, um sich auf offene Pfarrstellen zu bewerben. Das muss man in der Diskussion fair und ehrlich benennen.

Was kann von Seiten des Bistums verbessert werden?

Die unbesetzten Pfarrstellen sind rot gekennzeichnet.| Grafik: Eva Lotta Stein, Ruth Feldbrügge
Fünf Pfarrstellen am Niederrhein sind bis zum Sommer 2018 vakant (rot markiert). Damit sind 60.000 Gläubige ohne Leitenden Pfarrer. Im Januar verabschiedete sich Pfarrer Robert Winschuh unerwartet aus der Pfarre St. Marien in Wachtendonk/Wankum und übernahm eine neue seelsorgerische Aufgabe in Heilig Geist in Hamm-Bockum-Hövel. Ebenfalls im Januar wurde die „WhatsApp-Affäre“ von Pfarrer Christoph Grosch öffentlich. Der Bischof entpflichtete Grosch umgehend von seiner Aufgaben als Pfarrer. Wenige Wochen später teilte Pfarrer Theodor Prießen der verdutzten Gemeinde mit, dass er nach Kleve gehe, um wieder mehr  Seelsorger sein zu können. Und gerade erst gab Bischof Felix Genn dem Wunsch von  Karl Josef Rieger statt, als deutschsprachiger Seelsorger in die USA zu wechseln. | Grafik: Eva Lotta Stein, Ruth Feldbrügge

Es geht um die Informationspolitik. Die Gremien beschweren sich, nicht früh genug über die Entwicklungen informiert zu sein. Wir haben eine Bringschuld und müssen lernen, früh genug mit den Vertretern der Gremien auf Augenhöhe zu kommunizieren.

Inwieweit haben Sie die Möglichkeit, in Münster auf Lösungen zu drängen?

Das ist ja meine vornehmste Aufgabe. Ich empfinde mich in dieser Hinsicht als Anwalt der Gemeinden. Wir müssen doch gerade für die weiter entfernten Regionen Lösungen finden, um den personellen Notstand zu beheben.

Die Pfarrer der Nachbargemeinden haben angesichts der angespannten Situation öffentlich angekündigt, das Gespräch mit Ihnen zu suchen. Was können Sie ihnen sagen?

Wir werden uns in einer solchen Situation natürlich helfen müssen. Wir müssen dafür sorgen, dass Gottesdienste, Taufen und Beerdigungen in den betroffenen Gemeinden mit Blick auf die Gläubigen weiter möglich sind. Doch bei aller notwendigen Solidarität weiß ich auch, wie belastend die Mehrarbeit für die Pfarrer der Nachbargemeinden ist, wie eng die personelle Situation gestrickt ist. Dafür war ich lange genug Pastor und weiß, welche Arbeit zu leisten ist. Das ist sicher eine Herausforderung für die Seelsorger.

Ich werde immer wieder gefragt, ob der Niederrhein bei der personellen Versorgung vergessen wird. Ich kann guten Gewissens sagen, dass stimmt nicht. Auch in anderen Gemeinden des Bistums gibt es Engpässe. Und der eben schon angesprochene Mangel ist einfach vorhanden.

Leitende Pfarrer beklagen oft die Belastung durch die Verwaltungsarbeit. Muss das Konstrukt der Großpfarreien auf den Prüfstand gestellt werden?

Eine Großpfarrei als Verwaltungseinheit ist dann sinnvoll, wenn es Unterstützung durch Verwaltungsreferenten oder Verbundleitungen im Bereich der Kindertagesstätten gibt. Auch fachkompetente Mitglieder im Kirchenvorstand entlasten den Pfarrer in seinen Verwaltungsaufgaben.

Dann müssten sich die Geistlichen diese kompetente Hilfe aber auch zu Nutze machen.

Auf jeden Fall. In Kevelaer habe ich mich beispielsweise durch die Hilfe des damaligen Rendanten von Verwaltungsarbeit sehr befreit gefühlt. Habe ich diese Unterstützung, muss ich diese Fachleute auch entscheiden lassen und darf mich nicht in jedes Detail wie zum Beispiel in eine Diskussion um ein Bauprojekt einmischen.

Aber Ihre Frage zielt ja weiter. Wir müssen die Gemeinden, die kleineren Einheiten in den großen Pfarren stärken. Es ist das Ziel einer Kampagne des Bistums, die Interessen dieser kleineren Einheiten zu bündeln. Und das geht nicht nur durch Hauptamtliche. Wir können nicht in jeden Gemeindebezirk einen Hauptamtlichen setzen.

Wie soll die Profilierung dann gelingen?

Nur durch den verstärkten Einsatz von Laien, die wir ja Gott sei Dank haben, werden die kleineren Einheiten in den großen Pfarrstrukturen Profil gewinnen. An dieser Stelle wollen wir Laien auch mehr Leitungsfunktionen zutrauen. Denn sie sollen in ihrem Umfeld, ihrem Dorf, ihrem Quartier stärker in verantwortungsvolle Arbeit einbezogen werden. Das entspricht durchaus dem Statut des Pfarreirats. Dort steht eindeutig, der Pfarreirat nimmt teil an der Leitung der Pfarrei. Hier wird Leitung viel weiter interpretiert und nicht enggeführt auf den Pastor. Leitung geschieht in einem Team – sowohl im Seelsorgeteam wie in den gewählten Gremien.

Benötigen die Laien mehr Selbstbewusstsein?

Die Verantwortlichen müssen sich die Frage stellen, wie die Zukunft der Gemeinde aussieht. Was können wir beispielsweise in der Liturgie ausprobieren, wie kommen wir mit der Jugend oder mit denen ins Gespräch, die gar nicht mehr kommen. Wir müssen unsere Handlungsfelder erweitern.

Die notwendigen Innovationen werden nicht so sehr durch strukturelle Veränderungen herbeigeführt. Jetzt müssen wir diese Veränderungen mit innerem, geistlichem Leben füllen. Wir brauchen Menschen, die neue Ideen ausprobieren und nicht solche, die Innovationen als Bedenkenträger zum Erlöschen bringen.

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