Ludger Verst: Zur Zukunft der Kirche braucht es Störenfriede

Hinter Hirtenstäben keine Welt

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Wie sieht die Zukunft der Kirche hierzulande aus? Zurzeit sieht es so aus, als käme sie aus ihrem selbstgebauten Käfig von Verwaltung, Dogmen und Gesetzen nicht heraus, beklagt Ludger Verst in seinem Gast-Kommentar. Dabei wäre es so dringend – der Botschaft und der Menschen wegen.

Auf einem Strategiekongress wurde letztens ernsthaft der Gedanke durchgespielt, wie es wohl sei, wenn sich die jetzige Form von Kirche auflöse, also die alte Hülle nicht mehr gerettet, sondern aufgegeben würde. Zur Veranschaulichung des Zustands der Kirche wurde aus Rilkes bekanntem Gedicht „Der Panther“ zitiert. Man sieht es förmlich vor sich, dieses kraftvolle, geschmeidige Tier, gefangen im Käfig, seiner ursprünglichen Lebenswelt beraubt. Im Text heißt es vom Panther: „Ihm ist, als ob es tausend Stäbe gäbe und hinter tausend Stäben keine Welt.“

Verblüffend war, wie viele Assoziationen die Käfigszene hervorrief: Die Kirche habe einen starken Markenkern, eine weltweit einzigartige Botschaft, das Evangelium von Jesus, dem Christus. Und wie viel Lebendigkeit, wie viel Überschuss an Energie und Fantasie in dieser Botschaft stecke. Die Erben und die Nachlassverwalter aber hätten sie in Dogmen und Gesetzestexte gesteckt und abgesichert. So wirke das Ganze, heißt es im „Panther“, „wie ein Tanz von Kraft um eine Mitte, in der betäubt ein großer Wille steht“.

Im Gehege amtskirchlicher Verwaltung

Der Autor
Ludger Verst stammt aus Gronau, ist Theologe, Berater und Publizist.

Treffender lässt sich der Zustand der Kirche in der Tat kaum beschreiben. Ein großer Ernst und Wille, die Verheißung einer „Wahrheit, die befreit“ (Joh 8,32) – sie sind hineingeraten in ein Gehege amtskirchlicher Verwaltung, in der Anspruch und Realität per se auseinanderklaffen.

Auf dem Kongress kam eine Studie über „Citykirchen und Tourismus“ zur Sprache, derzufolge weit über die Hälfte des Besucherpublikums gar nicht wahrnimmt, dass der Ort ihres Besuchs kein Museum, sondern ein normaler Gottesdienstort ist.

Menschen vermuten und suchen in Kirchen etwas Heiliges, spüren dort aber nur selten noch Erhebendes. Wozu Kathedralen? – Hinter Gold und Hirtenstäben keine Welt.

Es braucht Zwischenruferinnen und Störenfriede

Herauszufinden aus solch selbstgemachter Käfighaltung hieße sich selbst zu öffnen und auf Empfang zu gehen, resonanzfähig zu werden für die Suchbewegungen der neuen Generation.

Die alten, großen Fragen nach dem Sinn werden in veränderter Form immer neu gestellt. Die religiösen Ausdrucksformen indes sind längst plural geworden. Es bräuchte Navigationskünstler der Spätmoderne, Zwischenruferinnen und Störenfriede, Prophetinnen und Dienstleister einer Wahrheit, die nicht verwaltet, sondern gelebt und erlebt werden will.

In unseren Gast-Kommentaren schildern die Autor:innen ihre persönliche Meinung zu einem selbst gewählten Thema. Sie sind Teil der Kultur von Meinungsvielfalt in unserem Medium und ein Beitrag zu einer Kirche, deren Anliegen es ist, die Zeichen der Zeit zu erkennen.

Mehr Informationen zu dem genannten Strategiekongress finden Sie hier.

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