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Bei der Arbeit in den Vatikan-Archiven gilt es nach Worten des Münsteraner Kirchenhistorikers Hubert Wolf, die „ganze Kurie und damit auch die Kirche insgesamt“ in den Blick zu nehmen. Eine Konzentration alleine auf den Papst wäre „völlig falsch“, sagte er im Interview des Portals domradio.de. Seit Jahresbeginn erforschen Wolf und sein Team in den vatikanischen Archiven die Bittschreiben von rund 15.000 verfolgten jüdischen Menschen aus ganz Europa während der NS-Zeit an Papst Pius XII.
Der Papst sei „absolut abhängig von seinen Mitarbeitern“, erklärte der Wissenschaftler. „Was mit einem Bittschreiben passiert, ob es positiv oder negativ aufgenommen wird, hängt wesentlich davon ab, was der zuständige Sachbearbeiter in der Kurie auf dieses Bittschreiben schreibt.“ Die Bittschreiben zeigten, dass der Papst über die Verfolgungssituation und über den Holocaust informiert gewesen sei. Die Kurie habe fast immer versucht, zu helfen.
Wolf: Pius XII. ging es um Neutralität
Historiker seien indes nicht „für Schwarz-Weiß-Antworten“ zu haben, betonte Wolf. Auf diplomatisch-politischer Ebene gelte, dass Pius XII. sich nur ein einziges Mal zum Holocaust geäußert habe. Neue Quellen gäben Aufschluss über den Entstehungszusammenhang jener Weihnachtsansprache 1942: „Es wird sehr deutlich, dass der Papst vermeiden möchte, dass seine Äußerungen von irgendeiner der Kriegsparteien instrumentalisiert werden. Es geht ihm um Neutralität oder Überparteilichkeit.“
Am Dienstag startet zudem eine Vorlesungsreihe in Mainz, in der Wolf über seine Arbeit in den vatikanischen Archiven informiert. Der Kirchenhistoriker hält die Vorträge im Rahmen der Johannes-Gutenberg-Stiftungsprofessur 2023. Das Bild des Vatikan-Archivs sei durch die Romane von Dan Brown geprägt, gab er zu bedenken: „Erstmal ist das vatikanische Archiv ein Archiv wie jedes andere.“ Luftdichte Glastresore seien eine Erfindung. Aber, so Wolf: „Dort hat die Kirche die Weltgeschichte eingelagert, und es ist etwas ganz Besonderes, dort arbeiten zu dürfen.“