Rollenspiel versetzt in den Widerstand gegen die Nationalsozialisten

Im Escape-Room in die Zeit von Kardinal von Galen

Wer sich in den Escape-Room „Löwe von Münster“ begibt, reist zurück ins Jahr 1941. Er wird Teil des Widerstands Clemens August Graf von Galens gegen die Nationalsozialisten. Dabei zählen auch Gefühle.

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Hinter dem Vorhang der Aula ist es dunkel. Nur wenig Licht dringt durch die Spalten des großen Kastens, der dahinter aufgebaut worden ist. Matthias Hecking findet den Eingang zum Innenraum aber problemlos. Das muss er auch – immer dann, wenn das Spiel der Schüler darin stockt. Wenn er Tipps geben muss. Oder selbst eine Rolle einnehmen muss. Jetzt kommt er mit einer guten Nachricht: „Glückwunsch, Ihr habt es geschafft!“ Und noch besser: „In Rekordzeit.“

39 Minuten haben die 14- bis 15-Jährigen aus der neunten Klasse am Arnold-Janssen-Gymnasium in Neuenkirchen gebraucht, um eine ganze Reihe Aufgaben zu lösen. Das Ziel: Findet die Predigten von Kardinal von Galen! Dazu wurden sie nicht nur als Rätsellöser gefordert. Auch emotional sind sie in die Zeit des Löwens von Münster eingetaucht. Die Gefühle der Menschen im nationalsozialistischen Regime spielen eine wichtige Rolle in diesem Escape-Room.

 

Zurück ins Jahr 1941

 

„Bei einem solchen Angebot ist es entscheidend, dass das Rätsel und die Handlung eng miteinander verwoben sind“, sagt Hecking. Er und Winfried Hachmann haben das Konzept erarbeitet, bei dem die Besucher einen Zeitsprung machen. „Wenn sich der Vorhang schließt, wirst du 80 Jahre zurückversetzt.“ Damit das gelingt, haben die beiden viel Zeit investiert. Sie haben ihre bisherigen Jobs hinter sich gelassen und ein halbes Jahr an ihrer Idee geschliffen. Mit einem Auge für das Detail. Das zahlt sich jetzt aus.

Escape-Rooms
Ein Escape-Room (deutsch: Flucht-Raum) ist ein Abenteuerspiel, bei dem die Spieler Hinweisen folgen, Rätsel lösen und Strategien entwickeln müssen, um ein gemeinsames Ziel zu erreichen. Erst wenn sie das letzte Geheimnis gelöst haben, öffnet sich die Tür des Raums wieder. Der Escape-Room „Löwe von Münster“ kann gebucht werden unter: kontakt(at)loewevonmuenster.de

Sekretär, Wählscheibentelefon, Bücher, Lampen – alle Requisiten verbreiten die Atmosphäre einer kleinen Wohnung in der Kriegszeit in Münster. Für die Schüler ist das die Kulisse für eine intensive Auseinandersetzung mit den Ereignissen jener Zeit. Aus dem Volksempfänger klingt noch Marlene Dietrichs „An der Laterne…“. Die Jugendlichen selbst haben sich vor dem Betreten des Zimmers mit Hut und Halstuch in Pfadfinder verwandelt – eine der vielen verbotenen Jugendorganisationen damals. Und Helfer des damaligen Bischofs, der sich gegen die Nationalsozialisten auflehnte.

 

Geschichte wird spürbar

 

„Hier lernen die Schüler mehr als in jeder anderen Unterrichtsform“, sagt Frederick Hens. Der Referendar kennt die Klasse aus dem Geschichtsunterricht und begleitet sie bei dem Projekt. „Ohne viel Vorwissen tauchen sie mitten in das Thema ein.“ Weil sie sich dabei nicht allein mit Zahlen und Fakten beschäftigten, sondern mit der Atmosphäre jener Zeit, bleibe viel hängen. „Die Bedeutung der geschichtlichen Ereignisse wird spürbar.“

Regieraum des Escape-Rooms
Moderne Technik kommt zum Einsatz: Frederik Hens (rechts) und Matthias Hecking im Regie-Raum des Escape-Rooms. | Foto: Michael Bönte

So wie bei der Gewissensentscheidung, die irgendwann ansteht: Helfe ich dem Kardinal in seinem Widerstand oder siegt die Angst vor Repressalien? Welche das sind, wird bei dem Rollenspiel deutlich. Von draußen dringt das Motorengeräusch vorbrei rasender Militär-Laster herein, die Stimmen von Soldaten sind zu hören. „Da stehst du schon ein wenig unter Druck“, sagt Anna Kappelhoff. „Kein schönes Gefühl.“ Zuvor wusste die 14-Jährige kaum etwas über Kardinal von Galen. Am Ende des Spiels vor allem eins: „Er war ein sehr mutiger Mann.“ Das sagt auch Katharina Evers beim Verlassen des Escape-Rooms: „Wir haben heute nicht nur die Person, sondern auch die Persönlichkeit des Kardinals kennengelernt.“

 

Vorarbeiten waren akribisch

 

Damit dass möglichst authentisch geschieht, haben sich Hachmann und Hecking tief in die Idee der Escape-Rooms eingearbeitet, bevor sie sich mit ihrer Version vom Löwen von Münster selbstständig gemacht haben. Auf Flohmärkten und im Internet stöberten sie monatelang nach Requisiten. Der Aufbau der insgesamt zwei mobilen Zimmer war akribisch und die technische Umsetzung hatte es  in sich. Denn zum Angebot gehört auch immer eine Spielleitung, die von außen über Kameras, Computer und Lautsprecher mit den Spielern verbunden ist.

Kardinal von Galen
1941 lehnte sich der damalige Bischof von Münster Clemens August Graf von Galen öffentlich gegen die systematische Tötung von kranken und behinderten Menschen durch die Nationalsozialisten auf. In der St.-Lamberti-Kirche in Münster hielt er am 3. August seine berühmte „Euthanasie-Predigt“, die danach im Untergrund vervielfacht und verteilt wurde. Für seinen Mut erhielt der Kardinal von der Bevölkerung den Namen „Löwe von Münster“.

Von diesem Regie-Raum aus können Telefonate in die Räume angenommen und getätigt werden. Der Spielverlauf wird überprüft, bei Schwierigkeiten mit den Aufgaben können Hilfestellungen gegeben werden. Manchmal sind es ganz einfache Tipps, die notwendig werden. Etwa, wenn den Jugendlichen erklärt werden muss, wie das alte Telefon funktioniert.

 

Zahlenschlösser müssen geknackt werden

 

Ihre Idee kommt an, nicht nur bei den Schülern in Neuenkirchen, die eine ganze Woche in Achter-Gruppen Gäste in den Räumen sind. „Schulen, Pfarrgemeinden und Bildungsstätten fragen an“, sagt Hecking. Auch dort wollen sich die Menschen auf die Suche nach den verbotenen Predigten begeben – wollen Zahlenschlösser knacken, Briefe entziffern und Kontaktpersonen anrufen. Um am Ende den Escape-Room mit dem Gefühl zu verlassen, ein Teil der Geschichte gewesen zu sein.

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