KIRCHE+LEBEN-INTERVIEW

Jan Liebermann – mit 19 angesagter Shootingstar am Orgelhimmel

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Neulich hat er in der Berliner Philharmonie gespielt, wie immer auswendig. Er ist ein Social-Media-Star, jetzt kommt er nach Münster. Warum Orgel?

Herr Liebermann, Sie kommen gerade von einem Konzert in Budapest zurück, wo Sie sämtliche Triosonaten von Johann Sebastian Bach gespielt haben. Macht knapp anderthalb Stunden – und Sie spielen alles auswendig. Wie schaffen Sie das?

Wie der Name schon sagt, bestehen die Triosonaten aus drei voneinander unabhängigen Stimmen – also für die linke Hand, die rechte Hand und für die Füße im Pedal. Bach hat sie für seinen ältesten Sohn Wilhelm Friedemann als Übungsstücke geschrieben, damit er ein großer Organist wird. Sie sind tatsächlich kognitiv eine echte Herausforderung. Für gewöhnlich wird im Konzert eine Triosonate gespielt, wenn man Glück hat zwei. Aber ich liebe die Herausforderung. Warum es mir leichtfällt, alle sechs Triosonaten auswendig zu spielen, kann ich nicht genau erklären. Vermutlich spielt eine gewisse Veranlagung eine Rolle. Wenn ich ein Werk oft genug gespielt habe, gelingt es mir in der Regel recht mühelos, es auswendig wiederzugeben. Meine Finger machen automatisch das, was sie machen sollen.

Nebenbei machen Sie auch noch Abi – wie bekommen Sie das alles in Ihren Kopf? Fällt Ihnen die Schule leicht?

Eigentlich schon – außer Mathe. Am Freitag ist Mathe-Klausur, am Mittwoch Englisch. Für Englisch habe ich schon ein bisschen gelernt, für Mathe noch nicht.

Sie sind 19 Jahre alt und doch schon ein alter Hase auf der Orgel, spielen so ziemlich alle großen Werke. Wie haben Sie das Instrument entdeckt – was faszinierte sie?

Ich habe mit zwölf an der Orgel angefangen, aber davor habe ich schon Klavier gespielt. Ich wollte die Orgel einfach ausprobieren, die ja schon optisch, aber auch von der Klangfülle her ziemlich beeindruckend ist. Kein Instrument reicht da heran! Ich mag es gern, wenn ich auf viele Dinge gleichzeitig achten muss. Ich muss die Registrierung im Kopf haben, dazu das eigentliche Spiel mit Händen und Füßen und auf verschiedenen Manualen – das macht mir unglaublich viel Spaß.

Orgelmusik ist im herkömmlichen Sinn „klassische Musik“. Die meisten Ihrer Altersgenossen hören wohl eher andere Musik. Was fasziniert Sie an klassischer Musik?

Klassische Musik ist einfach ganz hohe Kunst! Vor allem Johann Sebastian Bach, den ich für den größten Komponisten halte, hat Musik geschrieben, die heilig ist. Sicherlich hat das mit seiner tiefen Gottesverbundenheit zu tun. Diese alte Musik war die Popmusik seiner Zeit, sie ist bis heute aktuell – ich frage mich, ob die Popmusik von heute in 300 Jahren genauso viel gespielt werden wird.

Bach ist für Sie heilig, Sie erzählen von seiner Gottverbundenheit – gilt das für Sie auch oder fasziniert Sie vor allem die Virtuosität und Genialität seiner Musik?

Bach hat seine Stücke oft für kirchliche Anlässe geschrieben und mit „soli deo gloria“ signiert – also seine Musik zur Ehre Gottes komponiert. Damit kann ich mich sehr gut identifizieren. Ich bin gläubig – und glaube, dass mir mein Talent geschenkt wurde. Ich möchte es nutzen, um Gottes Botschaft durch Musik zu verkündigen.

Sie spielen in berühmten Konzertsälen wie gerade in Budapest, dieses Jahr mehrfach in der Berliner Philharmonie und in großen Kathedralen. Wo spielen Sie lieber – in säkularen Konzerthäusern oder in Kirchen? 

Die Orgel ist natürlich unmittelbar mit der Kirche verbunden und klanglich bieten Kirchen mit ihrem Nachhall eine super Resonanz, die für die Orgel meist auch gewünscht ist. Aber leider verlassen hunderttausende Menschen die Kirchen. Und doch gibt es ein Publikum im Konzertsaal, das häufig nicht in die Kirche geht oder gehen will. Ich selber mag den Konzertsaal auch deshalb sehr, weil es wegen der relativ trockenen Akustik kein Verstecken, kein Verschwimmen gibt. Außerdem können die Leute den Künstler sehen, während er spielt – das finde ich persönlicher. In Kirchen sitzt der Organist ja meist über und hinter dem Publikum, er spielt gewissermaßen „von oben herab“. Ich gehe deshalb gern nach einem Konzert runter zu den Leuten, weil ich den direkten Kontakt mit den Menschen liebe.

43.000 Follower auf Facebook, 51.000 auf Instagram, knapp 10.000 auf Youtube – Was reizt Sie an Social Media, welche Reaktionen erhalten Sie da?

Social Media ist eine super Bühne, größer als jeder Konzertsaal und jede Kirche – und zugleich ein super Medium, um sich der großen Welt vorzustellen. Ist es nicht wunderbar, so vielen Menschen zu zeigen, was mich begeistert? Jeder Mensch hat etwas Interessantes, das es wert ist, dass viele davon erfahren. Dafür ist Social Media perfekt – übrigens auch, um Konzertveranstalter auf mich aufmerksam zu machen und jüngere Leute, die sich schwertun, für ein komplettes Konzert in eine Kirche oder einen Konzertsaal zu gehen. Inzwischen sind ja neben mir auch eine ganze Reihe weiterer junger Organisten in Social Media aktiv. Das ist großartig!

Allein im Mai stehen in Ihrem Konzertkalender Auftritte nicht nur in Münster, sondern auch in Cambridge, Salisbury und London, im Juli erneut in englischen Kathedralen wie Exeter und York. Was sind Ihre persönliche Ziele für die nächsten fünf Jahre?

Erst einmal will ich mein Abitur machen und in München mein Kirchenmusik-Studium beginnen. Ich habe zwar schon seit einigen Jahren in Frankfurt und Mainz studiert, aber wegen der Schule natürlich längst nicht in der Intensität, wie ich es gern hätte. Mein Ziel ist es, Konzertorganist zu werden und weltweit zu konzertieren. Es ist ein überwältigendes Gefühl, vor Publikum zu spielen – auf möglichst vielen Instrumenten in vielen Ländern und Kulturen. 

Sie spielen schon jetzt unglaublich viele und große Werke – wozu wollen Sie noch Kirchenmusikgeschichte lernen, liturgisches Orgelspiel, Gregorianik und weitere Fächer? 

Ich möchte mir diese Option offenhalten, als Kirchenmusiker in einer Pfarrei zu spielen – zumal das natürlich auch eine gewisse finanzielle Stabilität gibt. Viele Konzertorganisten sind zugleich Organisten an einer Kirche – oder Professor, auch das reizt mich sehr. Dafür braucht es dieses ja sehr breit angelegte Studium der Kirchenmusik – wie etwa Dirigieren, Improvisation, Liturgik, Hymnologie…

Was raten Sie jungen Leuten, die auch gern Orgel spielen wollen?

Da fragen Sie, ehrlich, gesagt den Falschen. Denn eigentlich würde ich raten, sich Zeit zu geben für eine nachhaltige Entwicklung. Aber für mich selber ist das ganz anders. Ich hätte es gern immer noch schneller, noch mehr, immer weiter. Das ist nicht immer gut, wie ich in den letzten Tagen mit Konzerten, Abiklausuren, Eignungsprüfung in München, CD-Produktion, Zeit mit meinen Eltern und Interviews merke. Besser ist: langsam angehen, viel Zeit zum Lernen lassen – Musik spielen ist ein Reifeprozess! Zumal die Orgel ein sehr komplexes Instrument ist. 

Beim Konzert am 31. Mai an der münsterschen Domorgel spielen Sie Werke von Healey Willan, Johann Sebastian Bach, Alfred Hollins, Petr Eben und Maurice Duruflé. Könnten Sie sagen, wer Ihr Lieblingskomponist ist – wenn es nicht Bach allein ist?

Bach steht schon sehr weit vorn (lacht). Aber im Ernst: Ich mag mich da nicht einengen, weil es so viele gute Komponisten, so viele gute Musik gibt. Ich liebe die englische Musik etwa von Alfred Hollins, die abgespacete Musik von Petr Eben, die niederschmetternde Wahnsinns-Suite von Duruflé mit einer Spannung bis zum letzten Akkord – und die sagenhaft vielen Registerwechsel bei Willans, das ist großartig! Wenn man schon so eine hammer Tuba zur Verfügung hat wie im Münsteraner Dom, dann muss man die auch nutzen – gleich in zwei Stücken! Und dennoch: Bach ist das Größte für mich, da kommt keiner ran.

Orgelkonzert in der Osterzeit im Paulusdom Münster:
10. Mai: Ulrich Walther, Graz (Bach, Bolcom, Gulda, Liszt, Dupré).
17. Mai: Thomas Schmitz, Domorganist Münster (Bach, Langlais, Vierne).
24. Mai: Paolo Oreni (Bach, Mozart, Liszt, Widor, Improvisationen).
31. Mai: Jan Liebermann (Willan, Bach, Hollins, Eben, Duruflé).
Beginn ist immer um 18.30 Uhr. Der Eintritt ist frei, um eine Spende wird gebeten.

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