Schwester Ulrike Soegtrop über kirchliche Lehren aus der Corona-Pandemie

Jede Gemeinde sollte eine Flüchtlingsfamilie aufnehmen

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Corona als Chance? Ja, findet die Benediktinerin Ulrike Soegtrop aus Dinklage. Gelegenheit, sich von Überholtem zu verabschieden - und mit Blick auf Flüchtlinge Nächstenliebe im Sinn Jesu zu leben.

Gott sei Dank stehen die Kirchen vor vielen Ungewissheiten! Nichts steht Glauben mehr entgegen als Gewissheiten. Sie führen nicht selten zu Bequemlichkeit, zu Routine und zur Wiederholung des immer Gleichen, frei nach dem Motto: „Das war schon immer so“.

Corona hat die Kraft, uns zu befreien. Welch eine Chance! Wer genau hinschaut, hat wohl schon längst erkannt, dass so manche tradierte Gottesdienstform schal geworden ist und die Gottesdienstgemeinde von Jahr zu Jahr weiter schrumpft. So gesehen erlaubt Corona, ohne Gesichtsverlust Abschied von nicht mehr überzeugenden Traditionen zu nehmen.

 

Missbrauch: „Was ihr einem dieser Geringsten getan habt...“

 

Wer ehrlich ist, weiß, dass der unsägliche Missbrauchsskandal nur das schon längst übervolle Fass von Klerikalismus und Machtherrlichkeiten endgültig zum Überlaufen gebracht hat. Es ist nicht damit getan, den einen oder anderen Schuldigen zu finden. Es ist auch nicht damit getan, gewachsene Strukturen zu verdammen. Es geht um mehr. Es geht um alles; um alles, was Jesus verkörpert. „Was ihr einem dieser Geringsten getan habt, das habt ihr mir getan.“ (Mt 25,40) Das gilt für Missbrauch, in welcher Form auch immer.

Ja, und das gilt in gleichem Maß für den Umgang mit Menschen auf der Flucht; mit jenen, die sich in ihrer Kriegsverzweiflung auf gefährlichsten Fluchtwegen durchschlagen müssen; mit jenen, die unter unmenschlichen Bedingungen in Lagern dahinvegetieren.

 

In den Lagern leidet Jesus Christus

 

In jedem und jeder von ihnen leidet Jesus Christus. In jedem Kind, das im Morast des Lagers geboren wird, wird Christus neu geboren.

Die Autorin:
Ulrike Soegtrop OSB ist Schwester der Benediktinerinnenabtei St. Scholastika Burg Dinklage.

Was wäre, wenn jede kirchliche Gemeinde Deutschlands jeweils eine Familie aus den katastrophalen Lagern Griechenlands oder Bosniens aufnehmen würde? Für eine Familie gibt es in jeder Gemeinde Herberge. Für eine Familie lässt sich immer Unterstützung und Betreuung finden. Bei gutem Willen.

 

Den Sinn einer Gemeinde neu entdecken

 

Darin könnte sich Gemeinde wiederfinden, ihren Sinn, ihre Berufung neu entdecken. Daraus könnten Gebetsformen und -gemeinschaften neu erwachsen. Darin könnte sich die priesterliche, königliche und prophetische Gestalt aller Getauften neu profilieren.

Zugegeben, Fremde als Nächs­te zu erkennen, mit anderen Kulturen konfrontiert zu werden, auch für ihr Lebensrecht einzutreten – all das birgt jede Menge Ungewissheiten in sich. Was für eine Chance! Dank sei Gott!

Die Positionen der Gastkommentare spiegeln nicht unbedingt die Meinung der Redaktion von „Kirche+Leben“ wider.

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