Betroffene stellt in Münster ihr Buch vor: „Mach neu, was dich kaputtmacht“

Johanna Beck: Überlebende von Missbrauch kämpft für menschennahe Kirche

  • Johanna Beck hat in Münster ihr neues Buch „Mach neu, was dich kaputtmacht“ vorgestellt.
  • Die Betroffene von sexuellem und geistigem Missbrauch bezeichnet sich selbst als Überlebende.
  • Jetzt will sie die katholische Kirche erneuern.

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Johanna Beck sagt: „Ich bin nicht repräsentativ.“ Die 39-Jährige meint damit, „dass ich in der Kirche bleiben will“. Vorerst. Solange sie es schaffe, als Überlebende von sexuellem und geistigem Missbrauch für „Risse in den katholischen Betonwänden“ zu sorgen. Deswegen ist sie Mitglied im Betroffenenbeirat der Deutschen Bischofskonferenz. Deshalb engagiert sie sich beim Synodalen Weg. Und darum hat sie ein Buch geschrieben: „Mach neu, was dich kaputt macht“, es ist gerade im Herder-Verlag erschienen. Die Literaturwissenschaftlerin, angehende Theologin und Mutter von drei Kindern hat es am Donnerstagabend in der Buchhandlung Poertgen-Herder in Münster vorgestellt.

Ihrem Peiniger, dessen Übermacht sie zwischen ihrem zwölften und 16. Lebensjahr ausgeliefert war, nennt sie „Pater Dietmar“. In Wirklichkeit heißt er anders. Juristisch kann sie den jetzt in Österreich Lebenden nicht belangen. Als sie ihn anzeigt, sind die Verbrechen knapp verjährt. Das kirchliche Verfahren im Bistum Rottenburg-Stuttgart läuft seit zweieinhalb Jahren. Bisher ergebnislos. Die Befragung hat sie als traumatisierend erlebt. „Ich habe in eine Blackbox hineingesprochen, aus der nichts herauskommt.“ Danach fährt sie ihr Auto im Parkhaus gegen die Wand.

KPE-Anerkennung als Schlag ins Gesicht

Traumatisierend ist für Beck auch, dass die Katholische Pfadfinderschaft Europas (KPE), in der ihr und – wie sie weiß – anderen Missbrauch angetan wurde, Ende 2021 von der Deutschen Bischofskonferenz nach jahrzehntelangem Zögern „als privater kanonischer Verband“ anerkannt wurde. Ein „Ritterschlag“, den Beck als „Schlag ins Gesicht“ erlebt. In die KPE ist Johanna Beck durch ihre Mutter hineingeboren. Der Vater steht den sektenähnlichen Strukturen distanziert gegenüber. Beck wächst mit einem strafenden Gott auf, der ständig fordert und mit Fegefeuer und Hölle droht und den man mit heiligen Messen, täglichen Gebeten und monatlichen Beichten nur bedingt besänftigen kann. Bei den Treffen tragen die Mädchen blaue Hemden, dunkelblaue lange Röcke und Barett.

Die Welt außerhalb der Gemeinschaft wird als „böse, heidnisch, moralisch verkommen, übersexualisiert und vom Satan durchdrungen“ dargestellt. Ihr großes Vorbild ist Maria, die „jungfräuliche, sich selbst erniedrigende Mutter Jesu“. Als sie etwa elf war, nimmt Beck in Rom an einer Begegnung mit Papst Johannes Paul II. teil und erlebt, wie die Erwachsenen in der KPE ihn wie einen „lebendigen Heiligen“ huldigen. Manche fallen gar in Ohnmacht.

„Trias aus Angst, Sex und Macht“

Schon ihre erste Begegnung mit Pater Dietmar ist ihr unangenehm: „Seine massige Gestalt, seine speckigen Cordhosen, sein stechender Blick.“ Entgehen kann sie ihm nicht. Er übernachtet im Zeltlager, leitet die Exerzitien, „nimmt die Beichte im Wald und in Räumen ab, die man nicht einsehen kann“.

20 Jahre später weiß Beck, dass sich damals vor ihr eine „Trias aus Angst, Sex und Macht“ aufbaute. Während eines Gottesdienstes erfährt sie zufällig von der MHG-Studie, ein interdisziplinäres Forschungsprojekt, das den sexuellen Missbrauch in der Kirche thematisiert. Den eigentlichen Wendepunkt erlebt sie aber zuvor in Münster.

Die Wende in Münster

Literaturhinweis:
Johanna Beck: „Mach neu, was dich kaputtmacht. Warum ich in die Kirche zurückkehre und das Schweigen breche“,
Herder-Verlag, 192 Seiten, gebundene Ausgabe 20 Euro, ISBN 978-3-451-38991-7.
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Beck will dem Gottesbild ihrer Kindheit ein befreiendes entgegensetzen, sie studiert im Fernkurs Theologie. Im November 2019 nimmt sie an einem Präsenzseminar teil. Als sie die Tür zu ihrem Zimmer in der kirchlichen Einrichtung schließt und in die klösterliche Atmosphäre mit dem großen Wandkruzifix eintaucht, steht ihr der kalte Schweiß auf der Stirn. Eine Woche lang schläft sie kaum, hat Herzrasen, Albträume, Panikattacken. Schließlich bricht sie im Speisesaal zusammen und kommt ins Krankenhaus.

Sie entschließt sich, nach Stuttgart zu Mann und Kindern zurückzukehren und schafft es bis auf einen einsamen Bahnsteig in Westfalen. Sie weiß noch, dass sie dort am Gleisrand überlegte, ihrem Leben ein Ende zu setzen. Dann hat sie einen „Filmriss“. Später findet sie sich in einem Regionalzug wieder, googelt eine Therapeutin in Stuttgart. Die erklärt ihr nachher, dass die klösterliche Aura auf sie wie ein Trigger gewirkt habe. Beck beginnt eine Therapie gegen ihr Posttraumatisches Stresssyndrom.

Letzte Chance

Als Mitglied im Betroffenenbeirat der Deutschen Bischofskonferenz und beim Synodalen Weg kämpft sie für Geschlechtergerechtigkeit in der Kirche, ein zeitgemäßes Priesterbild und eine menschenwürdige Sexualmoral. „Das System muss sich ändern“, sagt sie. Beck gibt der Kirche eine letzte Chance.

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