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Eine Gesellschaft im Dauerkrisen-Modus: Nach Corona kam der Ukraine-Krieg, damit verbunden steht ein womöglich harter Energie-Spar-Winter bevor. Umfragen zeigen: Das Vertrauen in die Politik geht zurück. Auf sie darf es jetzt ohnehin nicht ankommen, meint Claudia Möllers in ihrem Gast-Kommentar.
Diese Studie ist ein Schock: Die Bertelsmann-Stiftung hat im Südwesten der Republik ermittelt, dass die Menschen das Vertrauen zueinander verlieren. Ein Virus macht sich in der Gesellschaft breit, das das Gemeinschaftsgefühl zersetzen könnte.
Dabei hatte man doch gerade unter dem Einfluss eines anderen Virus’, des tückischen Corona-Erregers mit all seinen niederträchtigen Varianten, erlebt, dass Menschen sich in den Nachbarschaften stärker umeinander kümmern.
Erschreckender Vertrauensverlust
Nun stellt Bertelsmann einen erschreckenden Vertrauensverlust in die Politik und unter den Menschen fest. Noch vor der Pandemie (2019) lag bei einer Vergleichsstudie der Zusammenhalt in der Gesellschaft auf einer Skala von 0 bis 100 Punkten im Südwesten bei 64 Punkten. Heute werden nur noch 54 Punkte erreicht in dem Bertelsmann-eigenen Index, der sich aus neun Elementen – wie Vertrauen in Mitmenschen, Akzeptanz von Diversität und gesellschaftliche Teilhabe – zusammensetzt.
Besonders erschreckend: 2019 lobten noch 80 Prozent der Befragten den guten Zusammenhalt in ihrer Gegend. 2022 sehen fast 50 Prozent die Solidarität in der eigenen Nachbarschaft bedroht. Gleichzeitig steigt der Einfluss von Verschwörungstheorien.
Nun steht angesichts des Ukraine-Kriegs und der damit verbundenen wirtschaftlichen Folgen ein weiterer Krisen-Winter bevor, dessen Konsequenzen in allen Details noch gar nicht absehbar sind. Rasant steigende Preise bei Lebensmitteln, bei Gas und Strom geben erst einen kleinen Vorgeschmack von dem, was Verbrauchern und dem Gemeinwesen noch bevorsteht. Alleinerziehende, Rentner und Geringverdiener zittern schon vor dem Start der Heizperiode.
Rettungsschirme reichen nicht
Die Autorin
Claudia Möllers stammt aus Münster und wuchs im Münsterland auf. Ihre journalistische Ausbildung absolvierte sie in den Achtzigerjahren bei „Kirche+Leben“. Im Anschluss arbeitete sie bei der Bischöflichen Pressestelle in Münster. Seit 31 Jahren gehört sie zur Redaktion des „Münchner Merkur“, wo sie heute die Bayern-Redaktion leitet und Kirchenthemen bearbeitet.
Gerade jetzt sind Solidarität, Zusammenhalt und Gemeinsinn gefordert. Es reicht nicht, auf die Rettungsschirme zu verweisen, die die Bundesregierung aufspannt. Sie können nicht alle Härten abwehren. Aus Solidarität mit dem Volk der Ukrainer, die mit ihrem Leben auch unsere freiheitliche Demokratie verteidigen, aber auch aus Mitgefühl mit von Armut bedrohten Menschen in Deutschland muss der Blick wieder stärker auf die Mitmenschen gerichtet werden.
Krise wird leider Gottes zum Normalzustand. Aber das darf nicht dazu führen, dass man abstumpft angesichts der Not anderer. Das Virus der Gleichgültigkeit muss mit allen Mitteln bekämpft werden.
In unseren Gast-Kommentaren schildern die Autor:innen ihre persönliche Meinung zu einem selbst gewählten Thema. Sie sind Teil der Kultur von Meinungsvielfalt in unserem Medium und ein Beitrag zu einer Kirche, deren Anliegen es ist, die Zeichen der Zeit zu erkennen.