Neue Studie zur Vergangenenheit des früheren Paderborner Erzbischofs

Kardinal Jaeger: Kein Nazi – aber auch kein Widerstandskämpfer

Hat der frühere Paderborner Kardinal Lorenz Jaeger zur Rechtfertigung der NS-Kriegsverbrechen beigetragen? Eine neue wissenschaftliche Studie belegt: Nazi war Jaeger nicht - Widerstandskämpfer aber auch nicht.

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Er kämpfte im Ersten Weltkrieg als Offizier und erhielt hohe Auszeichnungen wie das Eiserne Kreuz I. und II. Klasse und den Hohenzollernorden. Im Zweiten Weltkrieg war Lorenz Jaeger Divisionspfarrer. Als Erzbischof von Paderborn und späterer Kardinal pflegte er mitunter eine soldatische Sprache. Kritiker werfen ihm eine Mittäterschaft an Hitlers Angriffskrieg vor. Eine neue, vom Paderborner Erzbischof Hans-Josef Becker vor fünf Jahren in Auftrag gegebene Studie kommt zum Ergebnis: Jaeger war kein Nazi - aber auch kein Widerstandskämpfer.

Anlass für das Forschungsprojekt war 2015 ein Antrag der „Demokratischen Initiative Paderborn“ im Stadtrat, dem Geistlichen die Ehrenbürgerwürde abzuerkennen, da er angeblich zur Rechtfertigung der NS-Kriegsverbrechen beigetragen habe. Jaeger hatte die Auszeichnung 1956 für seine Verdienste um den Wiederaufbau der Stadt erhalten. Zwar lehnte der Stadtrat den Antrag mit großer Mehrheit ab, aber die Diskussion ging vor allem in Leserbriefen in Zeitungen hoch emotionalisiert weiter.

 

Als Student im Ersten Weltkrieg, als Divisionspfarrer im Zweiten

 

Jaeger wurde am 23. September 1892 in Halle an der Saale als ältestes von fünf Kindern in eine Arbeiterfamilie geboren. Der aus dem Eichsfeld stammende Vater war katholisch, die Mutter evangelisch. Nach dem frühen Tod des Vaters sorgten die Franziskanerinnen von Olpe dafür, dass er weiter die Schule besuchen konnte. Der Erste Weltkrieg unterbrach sein Theologiestudium, das er nach Rückkehr aus englischer Gefangenschaft fortsetzte.

Nach der Priesterweihe 1922 arbeitete er als Vikar in der sächsischen Diaspora, ab 1926 als Religionslehrer in Herne und Dortmund. Als 1939 der Zweite Weltkrieg begann, wurde Jaeger zum Divisionspfarrer einberufen. Zwei Jahre später - am 19. Oktober 1941 - empfing er im Paderborner Dom die Bischofsweihe. Der 1965 zum Kardinal erhobene Jaeger leitete die Erzdiözese bis 1973.

 

„Differenzierte Betrachtung“ angemahnt

 

Die Forschungsgruppe aus Theologen und Historikern, die auch auf bislang nicht erschlossene Akten wie den Nachlass zurückgriff, mahnt eine „differenzierte Betrachtung“ des Kardinals an. Aus ein paar Zitaten aus Predigten oder Hirtenbriefen lasse sich nicht seine Haltung zum NS-Staat ableiten, sagt der Studienleiter und Paderborner Fundamentaltheologe Josef Meyer zu Schlochtern. Die Historiker Joachim Kuropka aus Vechta und Dietmar Klenke aus Paderborn drängen darauf, die Zeitumstände zu berücksichtigen, unter denen Jaeger lebte.

Die Forderungen richten sich vor allem an den Publizisten Wolfgang Stüken, der in seinem 1999 erschienenen Buch „Hirten und Hitler“ Jaeger eine NS-nahe Gesinnung nachzuweisen suchte, und den Theologen Peter Bürger, der eine Stellungnahme zum Antrag der „Demokratischen Initiative Paderborn“ verfasst hatte.

 

Umstrittene abfällige Bemerkung

 

Ihnen wirft vor allem Kuropka vor, wissenschaftlich unsauber und nicht an den Fakten orientiert gearbeitet zu haben. Manches, was für eine Nazi-Nähe spreche, sei damals völlig normal gewesen. So könne man dem Kardinal nicht vorhalten, als Religionslehrer dem Verein „Nationalsozialistische Volkswohlfahrt“ angehört zu haben. „Das war für viele Beamte selbstverständlich.“

Laut Klenke gibt es keinen Beleg dafür, dass Jaeger das rassenbiologische oder sozialdarwinistische Denken der Nazis geteilt habe. In der Ablehnung der im Versailler Vertrag festgelegten Nachkriegsordnung und im Antibolschewismus nach der russischen Revolution habe es aber „gewisse ideologische Schnittmengen“ gegeben. Dies drücke sich auch in dem umstrittenen Satz aus dem Fastenhirtenbrief von 1942 aus, wonach Russland „Tummelplatz von Menschen“ geworden sei, „die durch ihre Gottesfeindschaft und ihren Christushaß fast zu Tieren entartet“ seien.

Mit dieser abfälligen Bemerkung über den Kriegsgegner im Osten habe Jaeger zwar die Kriegsführung des NS-Regimes unterstützt. Allerdings folge die Begründung christlich-religiösen Mustern und kaum abwertenden völkisch-rassenbiologischen Leitbildern. Fazit des Historikers: „Heutzutage wissen wir, dass man nationale Abwehrrhetorik nicht zu schnell als nationalsozialistisch bewerten darf.“

Josef Meyer zu Schlochtern/Johannes W. Vutz (Hg.): „Lorenz Jaeger: Ein Erzbischof in der Zeit des Nationalsozialismus“, Aschendorff Verlag Münster, 456 Seiten, 29,80 Euro, ISBN 978-3-402-24674-0. Dieses Buch können Sie hier bequem bestellen.

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