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Seit 25 Jahren leitet Prälat Karl Jüsten das Katholische Büro in Berlin. Was er über die Bedeutung der Kirche in der Politik und über die AfD denkt.
Seit 25 Jahren leiten Sie das Katholische Büro in Berlin. Wie blicken Sie auf diese Zeit zurück?
Die Arbeit an der Nahtstelle von Kirche und Politik war und ist sehr spannend. Es war und ist eine Zeit, in der viele wichtige Themen auf der Tagesordnung standen und stehen. Themen, die den Bischöfen wichtig waren, aber auch Angelegenheiten der Politik, zu denen sich die Kirchen zu verhalten hatten und haben. Ich glaube, dass es uns gelungen ist, für Anliegen, die uns als Kirche am Herzen liegen, weil sie für die Menschen und die Gesellschaft wichtig sind, Gehör zu finden.
Hat der Umzug von Bonn nach Berlin Auswirkungen auf Ihre Arbeit gehabt?
Ich weiß noch genau: Als der Regierungsumzug nach Berlin anstand, haben sehr viele die Befürchtung zum Ausdruck gebracht, in der wenig katholisch geprägten Hauptstadt werde die Stimme der Kirche an Gewicht verlieren. Meine Erfahrung ist eine andere. Die Abgeordneten kommen aus ganz Deutschland, und sie bringen aus ihrer Heimat ihre jeweilige religiöse Prägung mit.
Teilen Sie die Auffassung, dass die Kirche in den letzten 25 Jahren viel an Bedeutung verloren hat?
Das kann ich so nicht bestätigen, jedenfalls nicht im Hinblick auf ihre Bedeutung für die Politik. Vor 25 Jahren gab es den großen Konflikt um den Ausstieg der Kirche aus der Schwangerschaftskonfliktberatung. Damals war die Stimmung sehr aufgewühlt, denn die Politik hatte die Erwartung, die Kirche bleibe in dem System präsent. Damals sagte Kardinal Meisner, der mich für diese überdiözesane Aufgabe freigestellt hat, für die Kirche würde es nach diesem Konflikt schwerer werden, gegenüber der Politik Gehör zu finden. Dies ist im Grunde nicht eingetreten. Ich habe die Erfahrung gemacht, dass die Kirche gehört wird, wenn sie ihre auf das Gemeinwohl ausgerichteten Anliegen mit überzeugenden Sachargumenten vorträgt, die Expertise aus der karitativen und kulturellen Arbeit ihrer Verbände und aus den Diözesen einbringt und sich engagiert in den Austausch der Argumente begibt.
Also würden Sie nicht von einem Relevanzverlust der Kirchen sprechen?
Der Relevanzverlust ergibt sich aus dem Relevanzverlust, den die Kirchen selbst erleiden. Aber da, wo die Kirchen präsent sind, etwa im Bereich der Gemeindearbeit, der Seelsorge, der Caritas, Bildung und Kultur, genießen sie hohes Ansehen. Das Engagement der Kirchen wird auch von der Politik geschätzt.
Wer ist denn „Politik“?
Eine gute Frage. Politik ist zunächst einmal ein Sachbegriff. Häufig wird der Begriff als Synonym für den Politikbetrieb verwendet. Und dieser ist natürlich ganz stark geprägt von Menschen, Parlamentariern, Ministerialbeamten, Menschen, die in den Behörden arbeiten, Hauptstadtjournalisten, Vertretern von Verbänden … einem großen Kreis von Menschen, die Politik machen und Politik beeinflussen.
Hat sich – und wenn ja, wie – Ihre Rolle in der Zeit verändert?
Man darf nicht außer Acht lassen, dass ich für sehr viele Menschen hier auch Seelsorger bin. Oft bin ich der einzige Priester, mit dem sie Kontakt haben. Das zeigt sich auch darin, dass ich nicht nur Kinder, sondern auch Erwachsene getauft habe. Ich habe bei Trauungen assistiert und Menschen beerdigt. Zudem feiere ich jeden Sonntag Gottesdienst. Der Kreis der Menschen im Politikbereich ist recht groß.
Auch die Aufgabe der Kirche, angesichts des Evangeliums und ihres sich daraus ergebenden Auftrags gesellschaftspolitisch zu wirken, hat sich nie verändert: Ich versuche, denen in Deutschland eine Stimme zu geben, die Fürsprecher brauchen: ungeborenen Kindern, Migranten, sozial Schwächeren, Menschen am Rande der Gesellschaft, Kranken und Pflegebedürftigen …
Der dritte wichtige Aspekt begründet sich in der Tatsache, dass die Kirche auch als Institution Anliegen hat, die wir vertreten, damit sie ihren Auftrag erfüllen kann.
Fühlen Sie sich in dem Berliner Politikbetrieb als Exot?
Mein Vorgänger, Prälat Bocklet, war in seiner Aufgabe in Bonn sehr sichtbar und hat prägenden Eindruck hinterlassen. Aus dieser Bonner Tradition wussten viele, dass es im Katholischen Büro einen Priester gibt, der die Anliegen der Kirche vertritt. Aber je mehr Menschen es im Bundestag gibt, die keine kirchliche Prägung haben –, und der Anteil dieser Frauen und Männer wächst – desto ungewöhnlicher ist es für sie, einen Priester zu treffen, desto neugieriger sind sie aber auch, so meine Erfahrung. Manchmal gibt es da sehr überraschende Momente.
Können Sie ein Beispiel nennen?
In einem Gespräch mit einem Abgeordneten um ein ganz anders gelagertes politisches Anliegen ging es auf einmal auch um Fragen der Religion. Über das Thema Jugendweihe sind wir schließlich auf die Taufe gekommen. Das Ergebnis waren weitere Gespräche religiösen Inhalts. Ich habe dann erfahren, dass die Kinder meines Gesprächspartners wenig später getauft wurden. Solche überraschenden Begegnungen gibt es auch.
Haben Sie zu allen Parteien gleich gute Kontakte?
Ja, natürlich sprechen wir über unsere Anliegen mit fast allen Parteien. Die unterschiedlichen Ausrichtungen oder Schwerpunkte der Parteien spiegeln sich dabei sicher auch in unseren Gesprächen. Unsere Anliegen stoßen dann mitunter auf ein unterschiedliches Echo. Mit deutlicher Zurückhaltung begegnen wir der AfD, weil sie ein Menschenbild vertritt, das nicht mit dem christlichen in Übereinstimmung zu bringen ist. Hier suchen wir das Gespräch nicht.
Das politische Geschehen in Berlin ist die eine Seite der Medaille. Die andere Seite sind die Bischöfe, in deren Auftrag Sie tätig sind. Fühlen Sie sich vom Episkopat immer getragen?
Ja, ich bin in einem guten und regelmäßigen Austausch mit den Bischöfen. Deshalb glaube ich, ist es mir noch immer gelungen, die inhaltlichen Positionen entsprechend des Auftrags des Katholischen Büros zu vertreten. Wenn es in einem seltenen Fall Fragen bezüglich unserer Vorgehensweise gibt, dann sprechen wir selbstverständlich darüber.
Sie werden in diesem Jahr 64 Jahre alt. Wie lange wollen Sie diesen Job noch machen?
Mein Vorgänger ist mit 73 in den Ruhestand gegangen. So gesehen hätte ich noch zehn Jahre. Meine Amtszeit dauert noch fünf Jahre. Danach müsste ich mich bei den Bischöfen wieder zur Wahl stellen.
Zwei Dinge sind mir noch sehr wichtig zu betonen: Ohne meine engagierten Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter im Katholischen Büro würde vieles nicht so gut laufen, wie es läuft.
Und dann möchte ich noch die gute Zusammenarbeit mit meiner Kollegin, Prälatin Anne Gidion, hervorheben, die auf evangelischer Seite diese Aufgabe innehat. Sehr vieles haben wir in der Vergangenheit in ökumenischer Kooperation erreicht. Dafür bin ich sehr dankbar, denn allein könnten wir als katholische Kirche heute in der Politik nicht mehr viel bewegen, das ist gewiss.