Schwester Franziska Lukas von der Abtei Dinklage über Autorität, Bischöfe und Reformen

Kein Priester, kein Mann: Wie eine Äbtissin ihre "Pfarrei" leitet

Wer in der katholischen Kirche eine Pfarrei leiten will, muss Priester und damit Mann sein. So hat es der Vatikan gerade wieder betont. Doch es geht durchaus anders, wie Schwester Franziska Lukas, Äbtissin von Kloster Dinklage, im Interview zeigt.

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Wer in der katholischen Kirche eine Pfarrei leiten will, muss Priester und damit Mann sein. So hat es der Vatikan gerade wieder betont. Doch es geht durchaus anders, wie Schwester Franziska Lukas, Äbtissin von Kloster Dinklage, im Interview zeigt. Benediktinerinnen-Abteien sind nämlich selbstständig, ein Priester kommt nur zur heiligen Messe - was für die Gemeinschaft auch nicht unproblematisch ist.

Äbtissin Franziska, obwohl Sie kein Priester sind, leiten Sie eine rechtlich selbstständige „Gemeinde“ wie auch eine Pfarrei rechtlich großteils selbstständig ist. Wie äußert sich diese Autorität?

Die Autorität der Äbtissin ist ihr von ihren Schwestern übertragen worden. Sie wählen sie aus ihrer Mitte. Wenn die Gewählte das Amt der Äbtissin übernimmt, hat sie die Gesamtverantwortung für das Kloster, die Gemeinschaft und das Wohl jeder einzelnen Schwester. In diesem Sinn ist die Autorität eine väterlich-mütterliche. 

Der heilige Benedikt, unser Ordensgründer, sieht das Amt der Äbtissin in Beziehung zu Jesus Christus. Benedikt spricht herausfordernd von der „Stellvertreterin Christi“. So hat sie in erster Linie Anwältin des Evangeliums zu sein. Als solche ist sie niemand anderem Rechenschaft schuldig, als Gott allein. Ich formuliere es lieber anders: sie ist in allem Gott Rechenschaft schuldig; alles, was sie tut, lässt und entscheidet, soll sie aus der Perspektive Gottes betrachten und prüfen. Ihre Autorität ist also eine Gott-gebundene Autorität. 

In der monastischen Tradition werden Äbte meist „Vater“ und Äbtissinnen „Mutter“ genannt. Bei meiner ersten Wahl 2007 habe ich meine Schwestern gefragt, ob dies für uns noch stimmig ist und wir haben entschieden, dass ich das Amt der Leitung als „Schwester“  wahrnehme. So werde ich, wie jede andere, „Schwester“ genannt. Nur in formalen Zusammenhängen bevorzugen wir den Titel „Äbtissin“, um die Autorität des Amtes ins Wort zu bringen. 

Und doch sind Sie keine Alleinherrscherin …

Äbtissin Franziska LukasSchwester Franziska Lukas OSB ist seit 2007 Äbtissin der Abtei Burg Dinklage im Landkreis Vechta. Im November 2019 hat die Gemeinschaft sie für weitere zwölf Jahre wiedergewählt. | Foto: Abtei Dinklage

Die Autorität einer Äbtissin äußert sich in der Größe ihrer Ohren – natürlich im übertragenen Sinne. Im Prolog seiner Regel spricht Benedikt davon, dass wir die Ohren unseres Herzens neigen sollen. Ein wunderbares Bild. Tatsächlich ist es ihre Aufgabe, auf das zu hören, was sich in der Gemeinschaft bewegt, rechtzeitig Themen aufzugreifen und ins Gespräch zu bringen, aus den gemeinsamen Gesprächen die Einmütigkeit herauszuhören und in konkrete Entscheidungen umzusetzen. Dem benediktinischen Leitungsamt ist eine tragende Ratsstruktur zugeordnet. Das sogenannte Seniorat, eine kleine Gruppe von Schwestern, steht ihr zur Seite, um alle anstehenden Entscheidungen beraten und vorbereiten zu können. Wichtige Entscheidungen werden im Kapitel mit allen Schwestern besprochen und Personalentscheidungen (z.B. Äbtissinnenwahl, Profess) werden in geheimer Abstimmung demokratisch getroffen.

Äbtissinnen tragen Ring, Brustkreuz und mitunter auch einen Stab mit Krümme – wie ein Bischof. In welchem Verhältnis steht eine Äbtissin zu einem Bischof? Kann er ihr in ihr Kloster „hineinregieren“?

Ja, es stimmt, dass Äbtissinnen diese Insignien ihres Amtes tragen oder besser: tragen können. Damit kommt die schon genannte Leitungsfunktion der Äbtissin für die Gemeinschaft und darüber hinaus ihre Stellung innerhalb der Kirche zum Ausdruck. Der Hirtenstab der Äbtissin ist dann für ihre Gemeinschaft analog dem Hirtenstab des Bischofs für die Diözese zu sehen. Allerdings muss ich sagen – und das ist ein wichtiger Aspekt für mein Verständnis vom Dienst und von Leitung innerhalb von Kirche im 21. Jahrhundert: Die Autorität der Äbtissin leitet sich nicht aus den Insignien ab, sondern aus der Wahl durch die Gemeinschaft und aus der Regel Benedikts. Unsere Gemeinschaft hier in Dinklage, die erst nach dem zweiten Weltkrieg gegründet worden ist, hat von daher anfangs auf alle diese Insignien verzichtet. Irgendwann wurde es der Gemeinschaft dann bewusst, dass es gut wäre, ein Zeichen zu haben, das den Christusbezug des Dienstes nach außen sichtbar macht und so kam es, dass ich als Äbtissin heute ein Brustkreuz trage.

Was bedeutet das für das Verhältnis zum Ortsbischof?

Wenn Ihre Frage die rechtliche Seite meint, ist es so, dass wir als ein sogenanntes autonomes Kloster unsere Angelegenheiten selber regeln können. Da wir päpstlichen Rechtes sind, unterstehen wir direkt Rom. Für einige Dinge ist es jedoch gut und angeraten, eine Autorität von außen zu haben und für diese Fälle sieht das Kirchenrecht den Dienst des Diözesanbischofs vor. Sichtbar ist dieser Dienst zum Beispiel im vergangenen Jahr geworden, als Bischof Felix der Äbtissinnenwahl vorgestanden hat. Ein anderer Punkte ist, dass er oder der von ihm Beauftragte in regelmäßigen Abständen das Kloster visitiert. Daneben ist es natürlich schön, wenn innerhalb der Diözese ein guter Draht zum Bischof vorhanden ist und man sich gegenseitig wertschätzt, wie es für uns hier in der Diözese von Anfang an gegeben war. Daran wird sich sicherlich und hoffentlich auch nichts ändern, wenn wir uns nun mit zehn anderen Klöstern aus ganz Europa zu einer neuen monastischen Frauenkongregation verbinden, was die rechtlichen Zuständigkeiten verändern wird. 

Die Heilige Messe können Sie nicht feiern, dazu kommt ein Priester in Ihre Abtei. Wie nehmen Sie das wahr angesichts ihrer ansonsten selbstständigen, in einem zutiefst geistlichen Leben geeinten Gemeinschaft?

Abteikirche DinklageHier feiern die Schwestern ihr Stundengebet und die heilige Messe: die Abteikirche im ehemaligen Stall. | Foto: Markus Nolte

Mit dieser Frage sprechen Sie eine Spannung an. Wir haben oft Priester bei uns Gast, die gern mit uns Eucharistie feiern und sich – gerade, wenn sie mehrere Tage bei uns sind – gut auf unsere Gemeinschaft einlassen können. Auch gibt es in unserem Umfeld eine Reihe Priester, zu denen wir im Laufe der Jahre eine schöne Beziehung aufbauen konnten und die gerne mit uns feiern. Dennoch bleibt der Stachel im Fleisch. Gerade auch, wenn zu spüren ist, dass der Zelebrant sich nicht auf die Texte des Tages vorbereiten konnte, oder dass ihm überhaupt nicht bewusst zu sein scheint, dass wir eine geistlich lebende Gemeinschaft sind und die Liturgie zu unseren „Kerngeschäften“ gehört. Dann ist es schon manchmal schwierig, gelassen zu bleiben. 

Das heißt, dass Sie keinen ständig bei Ihnen lebenden Priester haben. Ohnehin wird ihre Zahl weniger – finden Sie denn immer jemanden, der zur Eucharistiefeier zu Ihnen kommt?

Natürlich ist es in den vergangenen Jahren auch zunehmend vorgekommen, dass kein Priester für die tägliche Eucharistie zu finden war. Wir haben dann angefangen, unser Stundengebet so auszugestalten, dass die Texte der Heiligen Messe integriert sind. Inzwischen haben wir diese Feiern noch „verfeinert“. Es waren dann die vergangenen Corona-Wochen, die uns Raum gegeben haben, intensiver über unsere liturgische Praxis und die Eucharistie in ihr nachzudenken. 

Mit welchem Ergebnis?

Schwester Franziska mit ihren Schwestern beim GebetSchwester Franziska beim Stundengebet mit ihren Schwestern. | Foto: Matthias Niehues (Kloster Dinklage) 

Wir haben uns in ausführlichen Gesprächen mit der Praxis des frühen Mönchtums befasst  und werden, davon ausgehend, nun sonntags, an Hochfesten  und donnerstagsabends Eucharistie feiern. Letzteres im Gedenken an das Abendmahlsgeschehen am Gründonnerstag. Wir haben uns erst einmal eine mehrmonatige Probezeit verordnet, spüren aber, dass das für uns stimmig sein könnte. Das Wort Gottes findet noch einmal ganz anders Raum. Eine Schwester hat es so zum Ausdruck gebracht: „Wir waren übersättigt mit Eucharistie“. Im Weniger liegt nun die Chance des Mehr! Unsere Aufgabe Liturgie zu feiern,  unsere Freude Gott zu feiern, hat noch mal neuen Schwung bekommen.  

Zu Ihrer Gemeinschaft gehören studierte und provomierte Theologinnen. Wie halten Sie es mit der Predigt?

Innenhof von Kloster Burg DinklageInnenhof von Kloster Burg Dinklage. | Foto: Markus Nolte

Wir haben schon länger die Praxis, dass sich im Rahmen der abendlichen Vigilfeiern immer mal wieder Schwestern mit einer Homilie einbringen. Gerade in den vergangenen Corona-Monaten haben wir das vermehrt getan. Außerdem halte ich als Äbtissin in der morgendlichen Terz, einer Art Wortgottesfeier, eine Homilie in Anlehnung an die Schrifttexte des Tages. Das ist für uns ein sammelnder Impuls für den Tag. Die Homilien werden nicht nur von unseren Theologinnen übernommen. Es geht in der Homilie ja um das Hören auf das Wort Gottes in diesen Tag hinein. Natürlich setzt das eine theologische Grundkompetenz voraus, die wir spätestens in der Ordensausbildung erwerben und durch „ongoing formation“  aktualisieren. Doch mehr noch geht es auch hier um das Hören auf den Heiligen Geist, den Dialog mit Gott, der mir dann schon die richtigen Worte in die Tastatur fließen lässt. Wir möchten unsere Predigtpraxis gerne noch intensivieren und haben bereits einen Homiletiker, also einen Predigt-Experten, für eine Fortbildung eingeladen.

Wie bewegt Sie im Kloster die Diskussion in den Gemeinden über die Rolle von Priestern und Laien in Leitungsaufgaben?

Wir nehmen wach die derzeitigen Entwicklungen, Diskussionen und Auseinandersetzungen wahr. All diese Themen machen natürlich nicht an der Klausurtür halt. Es gibt viele pastorale Mitarbeiter und Mitarbeiterinnen, die immer wieder mal bei uns zu Gast sind, zu Exerzitien oder auch zur geistlichen Begleitung kommen. Es berührt uns sehr, was sie aus ihrer Gemeindepraxis berichten.  Das Miteinander von Priestern und Laien in den Gemeinden ist ja glücklicherweise an vielen Orten besser, als die großen Diskussionen vermuten lassen. Und doch sind die Grenzen, die in den gegenwärtigen Strukturen erfahrbar sind, für viele ein Schmerzpunkt. Ich glaube, Gemeinden beziehungsweise „Kirche“, könnte viel von benediktinischen Klöstern lernen. 

Inwiefern?

Tor zur Abtei Burg DinklageEingang über die Brücke überm Burggraben: Tor zur Abtei Dinklage. | Foto: Markus Nolte

Um nur zwei Aspekte hervorzuheben: Wir gestalten unser Leben in Gütergemeinschaft nach dem Vorbild der Apostelgeschichte: „Sie hatten alles gemeinsam“. Das ist eins der Fundamente eines Gemeinschaftslebens, in dem Befreiung von eigenen Selbstsüchten einen Wert hat. Der zweite Aspekt ist die Leitung, wie ich sie schon beschrieben habe: die aus der Mitte gewählte Schwester, die dann – jeweils auf Zeit – Sorge trägt, dass die Gemeinschaft unter der Führung des Evangeliums die Wege geht, die der Herr zeigt, wie es im Prolog unserer Benediktsregel heißt., natürlich in hörender Hinwendung zu den ihr Anvertrauten. 

Im vergangenen Jahr haben wir die Entwicklung der Initiative „Maria 2.0“ interessiert verfolgt. Für uns war es der Anstoß, uns einer Initiative aus dem Benediktinerinnenkloster Fahr, Schweiz, anzuschließen. Die dortige Priorin hat zum „Gebet am Donnerstag“ aufgerufen (www.gebet-am-donnerstag.ch). Auch diese Idee ist, wie Maria 2.0, aus einem Bibelgesprächskreis heraus erwachsen. 

Warum ist Ihnen das wichtig?

Dahinter steht die Einsicht, dass all die Fragen um eine Gleichwertigkeit und Gleichberechtigung der Geschlechter in der Kirche ausdiskutiert sind. Die Argumente sind ausgetauscht, die Positionen definiert. Jetzt hilft nur noch die stärkste Arznei, wie Benedikt von Nursia es nennt, nämlich das Gebet. Inzwischen beten viele Ordensgemeinschaften, Verbände und Gemeinden in der Schweiz und Deutschland und weit darüber hinaus, jeden Donnerstag um einschneidende Veränderungen, die mehr Gutes bewirken können, als das Verharren im Status quo.  

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