Gastkommentar von Marc Röbel: Warum eine Fastenübung gegen Verbohrtheit helfen könnte

Kirche braucht neue Streitkultur

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So viel diskutiert, gestritten und gerungen wurde schon lange nicht mehr in der katholischen Kirche. Oft mit Leidenschaft, mitunter mit ziemlicher Vehemenz, auf jeden Fall Recht zu haben. Marc Röbel, Geistlicher Direktor der Katholischen Akademie Stapelfeld, empfiehlt in seinem Gast-Kommentar die „Probe des Gegensatzes“. 

Wie kann man(n) nur so verbohrt sein? Diese Bilder haben es bis in die Tagesschau geschafft: Aktivistinnen der Reformbewegung „Maria 2.0“ schlagen ein Plakat mit sieben Thesen an die Tür einer Münchener Pfarrkirche. Die Kamera zeigt einen aufgebrachten älteren Gottesdienstteilnehmer. Er ranzt die Akteurinnen an. Doch an Gesprächen ist er nicht interessiert. Er ist ganz seiner Meinung.

 

Position hinterfragen

 

Der Autor
Pfarrer Marc Röbel (geb. 1970) ist Geistlicher Direktor der Katholischen Akademie Stapelfeld, Dozent für den Fachbereich Philosophie und Pfarrer der Heilig-Kreuz-Gemeinde Stapelfeld.

Die Verbohrtheit kann viele Masken tragen. Es gibt sie unter Kardinälen und Kirchenkritikerinnen, unter Corona-Leugnern und Klimaschützerinnen. Die Verbohrtheit inszeniert ihr eigenes Wahrheits-Spiel. Dessen oberste Regel lautet: Die Wahrheit ist auf meiner Seite. So wird eine inhaltliche Position zur Pose oder zur Bastion.

Die französische Philosophin Simone Weil, die 1943 im Alter von nur 34 Jahren verstorben ist, hatte ihre eigene Erfahrung mit verbohrten Gedanken. Den Kommunismus, aber auch den Nationalsozialismus hat sie frühzeitig als ideologische Gedankenkonzepte durchschaut. Auch mit manchen Facetten des Katholizismus hatte sie einige Schwierigkeiten.

 

Was Simon Weil empfiehlt

 

In ihren Aufzeichnungen findet sich der Satz: „Ich würde lieber für diese Kirche sterben, als in sie einzutreten.“ Ihr missfiel das dogmatische Wahrheits-Spiel jener Zeit, das Andersdenkende mit dem Ausschluss bedroht hat. Simone Weil war tief davon überzeugt: Die Wahrheit – und das gilt auch für alle strittigen gesellschaftlichen und innerkirchlichen Fragen – können wir nur gemeinsam finden. Die Haltung, die dazu erforderlich ist, nennt sie die „Aufmerksamkeit“.

Ihre tägliche Übung war die „Probe des Gegensatzes“. Ich möchte daraus einen Vorschlag für die Fastenzeit ableiten: eine Tiefenbohrung nach Simone Weil. Das könnte eine Vorübung für eine neue kirchliche Gesprächs- und Streitkultur werden. Daran fehlt es auf allen Ebenen!

 

Die Sache mit dem Lieblingsgedanken

 

Die Übung könnte so aussehen: Schau dir einmal einen Lieblingsgedanken an, der sich in deinem Kopf eingebohrt hat. Und stelle dir für einen Moment vor, dass auch die gegenteilige Position etwas Richtiges sieht. Diese Übung hilft, sich von der eigenen Verbohrtheit zu lösen. Und sie kann dazu führen, bei Andersdenkenden Wahrheitselemente zu entdecken, die meiner Aufmerksamkeit entgangen waren.

Damit schafft man(n) es sicher nicht bis in die Tagesschau. Aber es könnte sich zeigen, wer „die Menschen guten Willens“ sind.

Die Positionen der Gastkommentare spiegeln nicht unbedingt die Meinung der Redaktion von „Kirche+Leben“ wider.

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