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Die katholischen Bischöfe Deutschlands haben eine Erklärung zur Rolle der Kirche im Zweiten Weltkrieg vorgestellt. In Europa endeten die Kampfhandlungen vor 75 Jahren. Wir dokumentieren den Text in Auszügen.
Die katholischen Bischöfe Deutschlands haben eine gemeinsame Erklärung zur Rolle der Kirche im Zweiten Weltkrieg vorgestellt. In Europa endeten die Kampfhandlungen vor 75 Jahren, in der Nacht vom 8. auf den 9. Mai 1945. Wir dokumentieren Auszüge aus dem 23-seitigen Bischofswort:
„75 Jahre nach dem Ende des Zweiten Weltkriegs, der vom nationalsozialistischen Deutschland ausging, haben wir immer noch mit den vielfältigen Folgen dieses Krieges für unser Land, für Europa und für die Welt zu tun. Der Krieg und seine Opfer, Verluste und Entbehrungen, Schuld und Scham haben viele Familien über Generationen geprägt. Auch die deutschen Bischöfe erlebten und erleben diese Prägung. Sie haben sich daher seit 1945 wiederholt mit dem Nationalsozialismus und seinen Folgen kritisch auseinandergesetzt. Diese Reflexion war oft schmerzhaft, da es neben der Würdigung der Opfer auch darum gehen musste, Schuld und Versagen zu thematisieren. (...)
Im Wandel der Erinnerung spiegelt sich bis heute die politisch-kulturelle Transformation Deutschlands seit dem Zweiten Weltkrieg. Die deutsche Erinnerungskultur ist mehrheitlich von dem Bewusstsein geprägt, dass der 8. Mai in einen europäischen Kontext zu stellen und in einer Weise zu begehen ist, die den Entwicklungen seit 1945 Rechnung trägt. Zu diesen Entwicklungen gehört, dass sich die Deutschen mit sich selbst, ihrer schuldbelasteten Vergangenheit sowie ihren Nachbarn weitgehend ausgesöhnt haben. Die Bereitschaft unserer Nachbarn zur Versöhnung ist dabei ein bleibendes Geschenk, für das wir demütig dankbar sind. Die kritische Auseinandersetzung mit unserer Vergangenheit gehört heute zum Selbstverständnis der Bundesrepublik Deutschland. Der Wandel der Erinnerung an den 8. Mai 1945 ist Ausdruck dieses Prozesses. Es ist daher kein Zufall, dass diejenigen, die eine grundlegend andere Gesellschaft und Republik wollen, diesen breiten Konsens fundamental infrage stellen.
Andauernde Verwundungen
Mit Sorge beobachten wir, dass auch außerhalb Deutschlands die Erinnerung an den Zweiten Weltkrieg - insbesondere in der östlichen Hälfte Europas - zu oftmals unwürdigem Streit führt. Dieser hat seine Wurzeln in den andauernden Verwundungen des Zweiten Weltkriegs, aber auch in den darauffolgenden Erfahrungen von Unrecht und Gewalt in der Zeit des Kommunismus. Nicht alle können offensichtlich der Versuchung widerstehen, mittels durchsichtiger Vereinfachungen die gesellschaftlichen Empfindsamkeiten für politische Zwecke zu missbrauchen. (...)
Das europäische Haus benötigt, damit wir gemeinsam in Frieden in ihm leben können, eine Kultur des Dialogs und des Respekts vor den Leiden der Menschen. Die Tonlagen des Mitgefühls, der Trauer und der Nachdenklichkeit sollten uns stärker bestimmen als die schrillen Töne gegenseitiger Anklage.
Kirche war Teil der Kriegsgesellschaft
Gerade im Sinne dieser Nachdenklichkeit haben wir uns aus Anlass dieses Jahrestages mit dem Verhalten unserer Vorgänger im Amt während des Zweiten Weltkriegs befasst. Wir wurden in dieser Auseinandersetzung nicht zuletzt durch die Klagen bestärkt, dass die katholischen Bischöfe in Deutschland die katholischen Soldaten in ihrer Gewissensnot allein gelassen und sich - mehr noch - am Krieg beteiligt hätten. (...)
Bei aller inneren Distanz zum Nationalsozialismus und bisweilen sogar offener Gegnerschaft war die katholische Kirche in Deutschland Teil der Kriegsgesellschaft. Daran änderten auch die zunehmende Repression gegen das Christentum, der Vernichtungskrieg sowie die seit der Wende des Kriegsgeschehens und mit dem Bombenkrieg gegen Deutschland anwachsenden Verluste der Deutschen wenig. Trotz massiver Bedrängnisse der Kirche durch Staat und NSDAP, blieb - wie schon im Ersten Weltkrieg - die patriotische Bereitschaft, die materiellen, personellen und geistigen Ressourcen der Kirche für den Kriegseinsatz zu mobilisieren, bis zum Ende ungebrochen. (...)
Offener Protest der Bischöfe blieb aus
Zwar teilten die Bischöfe nicht die rasseideologische Begründung des Krieges durch die Nationalsozialisten, aber ihre Worte und Bilder bestärkten sowohl Soldaten als auch das kriegsführende Regime, indem sie dem Krieg einen zusätzlichen Sinn verliehen. (...)
Sowohl im September 1939 als auch danach blieb der offene Protest der deutschen Bischöfe gegen den nationalsozialistischen Vernichtungskrieg aus. Die tradierte kirchliche Sicht des Krieges und das nationale Bewusstsein standen gegen aufkommende Zweifel. Auch gegen die ungeheuerlichen Verbrechen an den als “rassenfremd„ diskriminierten und verfolgten Anderen, insbesondere den Juden, erhob sich in der Kirche in Deutschland kaum eine Stimme. Es bedurfte des Anstoßes durch Patientenmorde und "Klostersturm", damit einzelne Bischöfe die allzu lange geübte Praxis schriftlicher Eingaben verließen und offenen Widerspruch wagten. (...)
Bischöfe machten sich mitschuldig
Jene Soldaten, für die sich die Kriegserfahrungen von hemmungsloser Gewalt zu existentiellen Fragen nach dem Sinn und nach Gott verdichteten, standen weitestgehend allein. Auch diejenigen, die zweifelten, sich mit dem Gedanken der Desertion trugen oder tatsächlich desertierten, fanden keine Stütze in den Äußerungen der Bischöfe. Sie blieben mit ihren Gewissensnöten allein. (...)
Indem die Bischöfe dem Krieg kein eindeutiges “Nein„ entgegenstellten, sondern die meisten von ihnen den Willen zum Durchhalten stärkten, machten sie sich mitschuldig am Krieg. (...)
Mit dem Abstand der Jahre ist der Umstand, dass für die Leiden und die Opfer der Anderen lange Zeit jeder Blick fehlte - von offenen Worten ganz zu schweigen -, besonders beschämend. (...)
Das Leid der Anderen, besonders der Juden
In der kritischen, nicht selten spannungsreichen und schmerzhaften Auseinandersetzung mit den Erfahrungen und dem Leid der Anderen, insbesondere der Juden, konnte die Kirche in Deutschland erst nach und nach zu sich selbst finden. Dabei haben wir erleben können, dass diese Begegnungen wesentlich auch zur Erneuerung der Kirche beigetragen haben und beitragen. (...)
Heute stellen wir dankbar fest, dass die Bereitschaft, sich den bohrenden Fragen und drängenden Problemen zu stellen, uns näher zu Christus und zu einem tieferen Verständnis des Evangeliums geführt hat. Eine besondere Bedeutung kommt dabei der memoria passionis, der Erinnerung an die Leiden der Opfer, zu. In ihnen begegnen wir Christus.