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Mehr Demokratie wagen - das hat sich der Synodale Weg auf die Fahnen geschrieben. In der Praxis ist die katholische Kirche davon noch weit entfernt, wie aktuelle Beispiele zeigen - meint Kirchenrechtler Thomas Schüller in seinem Gast-Kommentar.
Die katholische Kirche hat sich in ihrer langen Geschichte bis heute nie wirklich positiv zur Demokratie verhalten. Zu fremd scheint einer monarchisch verfassten Männerkirche ein politisches System zu ein, in der „alle Staatsgewalt vom Volke ausgeht“ (Artikel 20 Grundgesetz) und jedem Mitglied der Gesellschaft unveräußerliche, einklagbare Rechte gegenüber dem Staat und seinen Institutionen zukommen.
Auch ein Mann wie der im Bistum Münster hoch verehrte Clemens August Kardinal von Galen (1878-1946) hat sein Leben lang mit der parlamentarischen Demokratie gefremdelt. Umso überraschter reiben sich viele säkulare Beobachter die Augen, dass die deutschen Bischöfe im Februar einstimmig die Erklärung „Völkischer Nationalismus und Christentum sind unvereinbar“ verabschiedet haben. Sie formulieren darin die Absage an jede Form von völkischem Nationalismus, und sie warnen vor den Gefahren eines in die Mitte der Gesellschaft hineinragenden Rechtsextremismus. Das Signal ist weithin vernommen worden, die Botschaft uneingeschränkt zu begrüßen.
Die Zeit drängt
Der Autor
Thomas Schüller ist Direktor des Instituts für Kanonisches Recht an der Westfälischen Wilhelms-Universität Münster und Mitglied des Synodalen Ausschusses.
Doch Worte allein reichen nicht. Ihnen müssen rechtliche Taten folgen, damit Pfarreien und kirchliche Organisationen auf sicherem Boden stehen, wenn sie jemanden mit Hinweis auf nachweisliches rassistisches, fremdenfeindliches oder antisemitisches Verhalten nicht zur Kandidatur für ein Gremium zulassen oder ein bestehendes Mandat entziehen.
In einem aktuellen Fall hat der Generalvikar des Bistums Trier einem saarländischen Landtagsabgeordneten der AfD das Mandat im Verwaltungsrat einer Kirchengemeinde und zusätzlich seine Wählbarkeit für kirchliche Gremien entzogen. Man wird nun abwarten müssen, ob die Bistümer insgesamt Normen erlassen werden, die allen Beteiligten, aber auch Betroffenen Rechts- und Handlungssicherheit geben. Die Zeit drängt.
Die Spannung
Die katholische Kirche steht dabei in der Spannung, dass sie sich einerseits - zumindest in Deutschland - für eine lebendige Demokratie einsetzt, andererseits aber selbst offenkundig kein Hort demokratischer Entscheidungsstrukturen und gleicher Rechte für alle ist. Dies berührt ihre Glaubwürdigkeit. Katholische Christen müssen als überzeugte Demokraten unentwegt den Spagat üben. Sie gehören einer Kirche an, in der allein geweihte Männer das Sagen haben und Frauen von den entscheidenden Ämtern ausgeschlossen sind, nur weil sie Frauen sind.
Wie klerikale Macht, die niemandem Rechenschaft zu schulden glaubt, sich Bahn bricht, musste in diesen Tagen die junge Theologin Viola Kohlberger erfahren. Die Deutsche Bischofskonferenz verweigerte ihr das Plazet zur Kandidatur für das Amt der Bundeskuratin der Deutschen Pfadfinderschaft Sankt Georg (DPSG). Ein harter Kern von Bischöfen bediente sich für ihren Racheakt an einer unbequemen Kritikerin demokratischer Regularien, konkret der geheimen Abstimmung im Kreis der Bischöfe. Demokratisches Gebaren ist aber noch kein Beleg für demokratische Gesinnung. Im Gegenteil. Der Umgang mit Kohlberger zeigt das Unverständnis, ja die Verachtung mancher Hierarchen für Wesen und Prinzipien der Demokratie und demaskiert deren Misogynie.
In unseren Gastkommentaren schildern die Autor:innen ihre persönliche Meinung zu einem selbst gewählten Thema. Sie sind Teil der Kultur von Meinungsvielfalt in unserem Medium und ein Beitrag zu einer Kirche, deren Anliegen es ist, die Zeichen der Zeit zu erkennen.