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Die Kirchen in Deutschland sollten trotz Gegenwinds politisch bleiben. Davon ist ZdK-Generalsekretär Marc Frings überzeugt.
Selbst Außenstehende wurden in diesem Jahr gewahr, dass die Beziehung von Kirche und Politik durch Krisen geschlittert ist. Dass zum Beispiel ernsthaft andiskutiert wurde, ob Kirchen sich politisch einmischen dürfen. Artikel 5 des Grundgesetzes ist offenbar nicht mehr allen präsent.
Eines lässt sich daraus in jedem Fall lernen: Zweifelsohne braucht es eine überzeugende Begründungskulisse für das eigene Handeln. So wie es sich die Politik nicht leisten kann, die Kirchen als Demokratiepartnerinnen zu verlieren, kann es sich auch die Kirche nicht leisten, unpolitisch zu sein.
Kirche als „öffentliche Vernunft“
Die Voraussetzungen – auf die Ernst-Wolfgang Böckenförde in seinem berühmten (und überstrapazierten) Diktum abstellt –, die der säkulare, freiheitliche Staat selbst nicht garantieren kann, sind schließlich zum Großteil christlich geprägt. Die Kirche darf (und muss!) im öffentlichen Diskurs mitreden, aber nicht als Machtanwärterin oder Verteidigerin eigener Privilegien, sondern als Stimme der Marginalisierten.
Ihre unverhandelbaren Werte – Gottesebenbildlichkeit, Solidarität, Gerechtigkeit, Schöpfungsbewahrung – sind dabei im Sinne von John Rawls als „öffentliche Vernunft“ in die politischen und gesellschaftlichen Arenen einzubringen, sodass ein inklusiver Dialog in der (post-)säkularen Gesellschaft ermöglicht wird.
In Gemeinden investieren
Der Autor:
Marc Frings ist seit 2020 Generalsekretär des ZdK. Er studierte Politikwissenschaft, Jura sowie Friedens- und Konfliktforschung.
Dieser „überlappende Konsens“ bildet das ethische Fundament, das demokratische Gesellschaften stabilisiert. Religion baut Wertefundamente und einen Schutzwall, mit dem wir in jegliche Richtung vor Diktatur und Autoritarismus gesichert werden.
Strukturell ist deshalb unbedingt in Gemeindestrukturen zu investieren: Sie bilden einen sozialen Kitt, der dafür sorgt, dass Menschen sich milieuübergreifend ehrenamtlich für das Gemeinwohl einsetzen und vor Ort christliche Haltung in praktische Tat übersetzen.
Wie Kirche treibende Kraft bleibt
Glaubwürdigkeit bleibt dabei essenziell: Gelingt der Kirche die eigene Aufarbeitung von Missbrauch und Vertuschung nicht oder verschleiert sie politisches Versagen – wie derzeit in den USA zu beobachten, wo ab den 1970ern die toxische Koalition aus evangelikalen Massenbewegungen und falschen katholischen Ideologien das Fundament für den heutigen Neu-Integralismus gelegt haben –, ist auch ihre politische Autorität angezählt.
Das Zweite Vatikanum hat vor Jahrzehnten klargestellt, dass die Kirche ohne weltliche Machtmittel im demokratischen Diskurs wirken soll. Wenn sie dieses Gleichgewicht hält – christliche Werte beibehält und gleichzeitig pluralistische Spielregeln und selbstkritische Reflexion respektiert – bleibt sie eine treibende Kraft im republikanischen Gemeinwesen und eine wichtige Quelle gesellschaftlicher Resilienz.
In unseren Gastkommentaren schildern die Autor:innen ihre persönliche Meinung zu einem selbst gewählten Thema. Sie sind Teil der Kultur von Meinungsvielfalt in unserem Medium und ein Beitrag zu einer Kirche, deren Anliegen es ist, die Zeichen der Zeit zu erkennen.