Update: Erzbistum Köln verzeichnet 41.000 Austritte

Kirchenaustritts-Rekord in Deutschland: Knapp 360.000 Katholiken weg

  • Rekordwert: 359.338 Katholiken haben im Jahr 2021 in Deutschland ihren Kirchenaustritt erklärt.
  • Das sind deutlich mehr als im bisherigen Rekordjahr 2019 (knapp 273.000).
  • Weniger als die Hälfte der Bundesbürger gehört einer der beiden großen Kirchen an.

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Erstmals in der Geschichte der Bundesrepublik gehört weniger als die Hälfte der Bundesbürger einer der beiden großen Kirchen an. Die katholische Kirche zählte im vergangenen Jahr 21.645.875 Mitglieder, wie aus der am Montag veröffentlichten Statistik der Deutschen Bischofskonferenz hervorgeht. Das entspricht rund 26 Prozent der Bevölkerung. Die Evangelische Kirche in Deutschland (EKD) hatte bereits im März ihre Statistik veröffentlicht. Demnach zählte sie 19,72 Millionen Mitglieder, was einem Anteil von 23,5 Prozent entspricht. Gleichwohl bilden Christen in Deutschland weiterhin die mit Abstand größte Religionsgemeinschaft.

Im vergangenen Jahr kehrten 359.338 Katholiken ihrer Kirche den Rücken. Damit wurde der bisherige Höchstwert aus dem Jahr 2019 deutlich übertroffen, als knapp 273.000 Katholiken austraten. Allein das Bistum Münster verzeichnete 22.604 Austritte im Jahr 2021. Auch die EKD hatte Rekordwerte gemeldet. Im vergangenen Jahr traten demnach 280.000 Protestanten aus der Kirche aus. Die Zahl ihrer Mitglieder sank erstmals unter die 20-Millionen-Grenze auf 19,72 Millionen.

Bätzing spricht von tiefgreifender Krise

Der Vorsitzende der Deutschen Bischofskonferenz, Bischof Georg Bätzing, sagte mit Blick auf die katholische Kirche, die Zahlen zeugten von einer tiefgreifenden Krise. „Es ist nichts schönzureden, und ich bin (...) zutiefst erschüttert über die extrem hohe Zahl von Kirchenaustritten.“ Mittlerweile vollzögen nicht nur Menschen den Austritt, die zu ihrer Pfarrei schon länger kaum Kontakt gehabt hätten: „Es mehren sich Rückmeldungen, dass Menschen diesen Schritt gehen, die bisher in den Pfarreien sehr engagiert waren.“

Die Präsidentin des Zentralkomitees der deutschen Katholiken (ZdK), Irme Stetter-Karp, sagte, die Zahlen spiegelten einen grundsätzlichen gesellschaftlichen Wandel wider. „Die Deutungsmacht der Kirchen über das Religiöse ist keine Selbstverständlichkeit mehr, anders als das über viele Jahrzehnte, ja über Jahrhunderte der Fall war.“ Die Kirche sei herausgefordert, auf die Menschen zuzugehen, „mitten hinein in deren Lebenswelten“ und neues Vertrauen aufzubauen. „Wem ich vertraue, dem glaube ich“, so Stetter-Karp. Nur so könne eine Erneuerung des Christentums im 21. Jahrhundert gelingen.

Erzbistum Köln: 41.000 Kirchenaustritte

Einen Grund für die hohen Austrittszahlen sieht der Münsteraner Theologe und Kirchenrechtler Thomas Schüller in der Situation im Erzbistum Köln, wo mit knapp 41.000 Katholikinnen und Katholiken so viele Mitglieder wie in keiner anderen Diözese ihrer Kirche den Rücken kehrten. „Das indiskutable Leitungshandelns des Kölner Kardinals Rainer Woelki im Umgang mit sexualisierter Gewalt und ihren Betroffenen in der Kirche sowie sein verschwenderischer und weithin rechtlich fragwürdiger Umgang mit Kirchenvermögen für zweifelhafte Zwecke“ hätten sich auch auf alle anderen 26 Bistümer ausgewirkt.

Die Organisation „Wir sind Kirche“ kommentierte: „Wenn die deutschen Bischöfe ihrer Verantwortung in dieser dramatischen Kirchenleitungskrise gerecht werden wollen, müssen sie sich, und zwar alle 27 Ortsbischöfe, noch sehr viel deutlicher um die Missbrauchsaufarbeitung in ihrem Bistum bemühen sowie möglichst geschlossen für die dringendst anstehenden Reformen auf dem Synodalen Weg für Deutschland eintreten.“

Schlechte Nachricht für Betroffene

Der Sprecher der Opferinitiative „Eckiger Tisch“, Matthias Katsch, sagte dem Portal t-online, die Zahlen seien für Betroffene sexuellen Missbrauchs keineswegs eine gute Nachricht. Natürlich zeige sich in den Austritten der Protest der Menschen gegen den Umgang der Amtskirche mit ihren Opfern: „Aber für die Betroffenen ist vor allem wichtig, dass die Kirchenmitglieder sich dafür einsetzen, endlich notwendige Hilfen und tatsächliche Entschädigungen voranzubringen.“

Neben der Debatte um die Aufarbeitung von Missbrauch wirkte sich die Corona-Pandemie einmal mehr auf das Leben in den Gemeinden aus. So ging der Gottesdienstbesuch von 5,9 Prozent im Jahr 2020 auf 4,3 Prozent im Jahr 2021 zurück. Die Zahlen beim Sakramentenempfang dagegen stiegen teils deutlich. So wurden 20.140 Trauungen registriert. Das waren fast doppelt so viel wie 2020, als 11.018 kirchliche Eheschließungen erfasst wurden.

Bätzing wirbt für Kirche

Allen dramatischen Entwicklungen zum Trotz wolle er für „das Plus von Kirche“ werben, sagte Bischof Bätzing. „Wenn man auf unsere katholischen Schulen, Kindergärten und theologischen Fakultäten schaut, wenn man auf die Seelsorge und Beratungsangebote in allen Lebensbereichen blickt, und wenn man das Engagement von Ordensleuten und – um ein anderes Beispiel zu nennen – die Jugendarbeit nicht aus den Augen verliert, zeigt sich: Es gibt viele gute Gründe, in der Kirche zu bleiben und sie mitzugestalten.“ Kirche vermittle Hoffnung, „besonders in bedrängenden Krisenzeiten“.

Update, 15.10 Uhr: Artikel wesentlich mit Reaktionen und weiteren Details erweitert. (jdw)

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