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„Lasst uns reden! Austausch in Krisenzeiten“ – unter diesem Motto haben Seelsorgende der Pfarrei St. Felizitas in Lüdinghausen im Kreis Coesfeld alle Gemeindemitglieder zu einem offenen Austausch eingeladen. Doch nur zehn Frauen und Männer nutzten die Gelegenheit, einmal „Dampf abzulassen“ oder sich über die strittigen Kirchenthemen auszutauschen.
Dabei hatte Pastor Hector Sanchez die große Bandbreite der Kirchenthemen ins Spiel bringen wollen: Wie gehen wir Katholiken vor Ort mit den Krisen in unserer Kirche um? Sexualisierte Gewalt, Vertuschungen, Glaubwürdigkeit der Amtsträger, #OutInChurch, Machtgehabe, Geschiedene-Wiederverheiratete, Sexualmoral, Zulassung der Frauen zum Weihesakrament, Zölibat, die große Welle an Kirchenaustritten, weniger Kirchenbesucher – so hießen die Schlagworte in der Einladung, die zum Austausch anregen sollten.
Ort des Austauschs
„Wir Christen sind Menschen des Dialogs“, sagte Sanchez. Er hält es für wichtig, in der Kirche eine offene Gesprächskultur zu praktizieren: „Diese Zusammenkunft ist nicht der Ort, an dem Entscheidungen getroffen und Veränderungen herbeigeführt werden. Sie ist vielmehr ein Ort, in dem wir miteinander reden können. Ein derartiger Austausch kann uns helfen, dass wir mit unseren Fragen und Sorgen nicht allein sind“, sagte der Seelsorger.
Dem Seelsorgeteam in Lüdinghausen gehe es nicht darum, „eine bestimmte Gestalt der Kirche zu retten, wie sie uns vertraut geworden ist, sondern nach Wegen vor Ort zu suchen, wie die Menschen von heute und morgen in unserer Gemeinde mit dem Gott Jesu Christi in Berührung kommen können.“
Emotionale Bindung geht verloren
In ihren persönlichen Statements sagten mehrere Gemeindemitglieder, wie sehr ihnen die „negativen Schlagzeilen über die Kirche“ zusetzten. „Über die Skandale wird gern und ausführlich berichtet. Das Positive, das in den Gemeinden geleistet wird, erfährt kaum noch Beachtung“, hieß es.
Mehrere Teilnehmende bekannten, dass ihnen die emotionale Bindung zur Kirche verloren gegangen sei. „Ob ich nun noch Mitglied in der Kirche bin oder nicht, ist gar nicht mehr die Frage für mich. Ich habe die Bindung verloren, zahle aber noch die Kirchensteuer. Wie lange noch, weiß ich nicht. Die Sorge, bei einem Austritt kein katholisches Begräbnis zu bekommen, habe ich nicht. Ich könnte mir selbst eine christliche Begräbnisfeier organisieren lassen“, sagte ein Mann mittleren Alters.
Warum an der Kirche leiden?
Er fügte an, sich gern mit der Bibel zu beschäftigen und in einem lockeren Kreis Bibelgespräche zu führen. „Dafür brauche ich aber nicht die Kirche, so wie sie sich darstellt.“
Das offene Gespräch zeigte deutlich, dass die Gemeindemitglieder mit der Spannung zwischen den Kirchenkrisen der Institution und ihrem persönlichen Glauben und Engagement kaum noch zurechtkommen. „Ja, ich leide an der Kirche, aber warum und wieso? Das hat doch Jesus gar nicht gewollt“, machte eine Teilnehmerin ihrer Enttäuschung Luft.
Sehnsucht nach Spiritualität
Aber es ist nicht nur Resignation zu spüren: „Ich nehme gern an der sonntäglichen Eucharistiefeier teil. Sie gibt mir Kraft“, hieß es ebenso wie: „Die großen ökumenischen Open-Air-Gottesdienste an der Burg Lüdinghausen zeigen doch, dass wir in größerer Zahl zusammenkommen können.“
Die Engagierten möchten erfahren, wie Gemeindebildung heute gelingen kann. „Die früheren Zeiten mit vollen Kirchen sind vorbei. Doch es gibt die Sehnsucht nach Spiritualität. Die Sinnsuche bleibt. Das muss die Kirche nutzen.“
Gemeinde bleibt alternativlos
Das zweistündige Gespräch tat allen Teilnehmenden sichtlich gut. „Auch wenn wir eine kleine Runde waren, ist doch ein Bedürfnis da, sich auszusprechen und voneinander zu hören. Ich möchte nicht allein glauben. Wir brauchen die Gemeinde“, sagte eine jüngere Frau.