Gast-Kommentar von Joachim Frank

Kirchenmänner in Parallelwelten

Anfang Mai machte ein verschwörungsmythisches Schreiben konservativer Autoren über die vermeintlich wahren Hintergründe der Corona-Krise die Runde. Nicht nur das muss irritieren, sagt Joachim Frank in seinem Gast-Kommentar.

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Anfang Mai machte ein verschwörungsmythisches Schreiben konservativer Autoren um den früheren US-Nuntius Carlo Maria Viganò und den ehemaligen Präfekten der Glaubenskongregation, Kardinal Gerhard Müller, über die vermeintlich wahren Hintergründe der Corona-Krise die Runde. Joachim Frank, Journalist und Theologe in Köln, sieht in seinem Gast-Kommentar neben den kruden Thesen zwei weitere Gründe, die gläubige Menschen irritieren müssten.

Joachim Frank (54) ist Chefkorrespondent der DuMont Mediengruppe und Mitglied der Chefredaktion beim „Kölner Stadt-Anzeiger“. Er wuchs in Burgsteinfurt auf, studierte katholische Theologie, Philosophie und Kunstgeschichte in Münster, München und Rom. Er pflegt in seiner Arbeit enge Verbindungen zur Universität Münster und seinem Heimatbistum. Seit 2015 ist Joachim Frank Vorsitzender der Gesellschaft katholischer Publizisten und Mitglied im Zent­ralkomitee der deutschen Katholiken.

Ein „unsichtbarer Feind“, der Jahrhunderte der christlichen Zivilisation „unter dem Vorwand eines Virus auslöschen und eine „verabscheuungswürdige technokratische Tyrannei“ errichten will; „fremde Mächte“, die mit Panikmache und der Beschneidung von Freiheitsrechten eine Weltregierung anstreben, „die sich jeder Kontrolle entzieht“.

Es hat einen Moment gebraucht, bis diese düster raunende Deutung der Corona-Krise deutlichen Widerspruch in der deutschen Kirche gefunden hat. Dass Bischöfe sich überhaupt gefordert sahen, auf das Gebräu aus sämtlichen Ingredienzien der Verschwörungstheorie zu reagieren, hat mit denen zu tun, die es angerührt haben. So trägt der Anfang Mai veröffentlichte Aufruf zum Kampf gegen die weltweiten Anti-Corona-Maßnahmen die Unterschriften des Erzbischofs und früheren US-Nuntius Carlo Maria Viganò und des ehemaligen Präfekten der Glaubenskongregation, Kardinal Gerhard Müller.

 

Was Gläubige irritieren müsste

 

Müllers Reaktion auf die Kritik bestätigt den Eindruck, dass der früher als Kapazität geschätzte Theologe in eine Parallelwelt abgedriftet ist, in der er von bösen Feinden umzingelt, aber immer im Recht ist.

Was die von Müller, Viganò und anderen Kirchenmännern angesprochenen Gläubigen spontan irritieren müsste, ist zweierlei. Erstens ist es das Fehlen jeglicher Empathie mit denen, die an Covid-19 erkrankt oder gestorben sind. Mehr als 350.000 Tote sind es mittlerweile weltweit. Dass einem Mann wie Müller, der in Italien lebt, die Katastrophen-Bilder aus Bergamo und anderen Orten entweder entgangen oder gleichgültig sind, spricht weder für sein Wahrnehmungs- noch für sein Urteilsvermögen.

 

Obsession statt Realitätssinn

 

Zweitens läuft das Weltverschwörungs-Pamphlet auf eine apokalyptische Vernichtungsschlacht gegen die Kirche hinaus. Das lässt eher auf Obsessionen ihrer Urheber als auf Realitätssinn schließen.

Zwischen Verschwörungstheorien und religiösem Glauben gibt es eine – prekäre – Schnittmenge: Beide stoßen in Sphären vor, vor denen mathematisch-naturwissenschaftliche Rationalität kapitulieren muss. Während aber der Glaube von Gottes Güte und seiner unverbrüchlichen Liebe zur Welt und zu den Menschen handelt, suchen Verschwörungstheorien das Böse oder die Bösen, die an allem schuld sind. Um die Dignität des Glaubens an Gott zu wahren, müssen gerade Verkünder des Glaubens sich solchen „glaubensförmigen“ Weltdeutungen strikt verweigern.

Was Viganò, Müller und Co. vortragen, ist von dieser Art des Denkens – dem Glauben zuwider. Dass sie ihren Aufruf mit dem Kernsatz von der „Wahrheit, die euch frei machen wird“ aus dem Johannes-Evangelium versehen haben, ist der Gipfel des Zynismus, beschämend und ihrer Ämter unwürdig.

Hinweis
Die Positionen der Gast-Kommentare spiegeln nicht unbedingt die Meinung der Redaktion von „Kirche+Leben“ wider.

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