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Als „außerordentliche Enttäuschung“ bewertet der Münsteraner Kirchenrechtler Thomas Schüller das nachsynodale Schreiben „Querida Amazonia“ von Papst Franziskus. Vor allem für Frauen und den Synodalen Weg.
Papst Franziskus hat das nachsynodale Schreiben „Querida Amazonia“ veröffentlicht. Viele haben mit Spannung auf Positionen des Papstes zu auch in Deutschland diskutierten Themen gewartet: zur Priesterweihe für bewährte, verheiratete Männer, zur Weihe von Frauen, zur Leitung von Gemeinden durch Laien. Der Münsteraner Kirchenrechtler Thomas Schüller bewertet das Dokument.
Herr Professor Schüller, was überwiegt in Ihrer Bewertung des nachsynodalen Schreiben zur Amazonas-Synode von Papst Franziskus: Begeisterung oder Enttäuschung?
Was die Frage der Zukunft der Kirche angeht, ist das nachsynodale Schreiben von Papst Franziskus außerordentlich enttäuschend. Denn er greift die Voten der Synodenväter nicht auf, setzt kein Reformvorhaben um, sondern bleibt beim Status Quo. Positiv sind allerdings die ersten drei Visionen zu bewerten, in denen es um die sozialökologische Krise und deren Überwindung in Amazonien geht. Da entwickelt Papst Franziskus auf der Grundlage von „Laudato si“ sehr erfreuliche Perspektiven: Er betont den Respekt vor der indigenen Bevölkerung, deren Kultur gesichert werden muss. Da gibt es sehr schöne Passagen über Inkulturation und Evangelisierung, die das Herz des Theologen erfreuen. Wir sollten das auch mit unserer westeuropäischen Brille wertschätzend wahrnehmen.
Die Synode hat „viri probati“, also die Priesterweihe für bewährte, verheiratete Männer, intensiv diskutiert. Es gab deutliche Bitten an den Papst – aber im nachsynodalen Schreiben kommen sie gar nicht vor. Wie bewerten Sie das?
Den Vorschlag, bewährte, verheiratete Männer zu Priestern zu weihen, thematisiert Papst Franziskus in der Tat und bedauerlicher Weise nicht. Dafür greift er auf ein Instrument zurück, das immer wieder gern, aber offenkundig erfolglos thematisiert wird: Wir müssten nur mehr um Priesterberufungen beten. Franziskus betont zugleich, dass Priester wichtig und zentral etwa für die Feier der Eucharistie und die Sündenvergebung sind. Aber er geht keinen Reformschritt nach vorn, und das ist äußerst enttäuschend – nicht nur für Amazonien, sondern für alle in der Weltkirche, die gehofft hatten, dass der Papst hier einen kleinen Schritt nach vorn macht.
Wie sehen Sie die Aussagen des Papstes über die Möglichkeiten von Frauen in der Kirche?
Da komme ich zu einem sehr zwiespältigen Befund. Papst Franziskus greift auf ein Argument zurück, das schon die Päpste Johannes Paul II. und Benedikt XVI. genutzt haben: Es sei nämlich nicht gut, Frauen durch Weihe in klerikale Positionen zu bringen, weil das dem Wesen der Frau widerspreche. Das Wesen der Frau sei marianisch, also empfangend und dienend. Den Platz, den nun also auch Franziskus den Frauen zuweist, ist die Glaubensweitergabe. Das wird für die Frauen, gerade in Deutschland, Europa und den USA, sicherlich eine herbe Enttäuschung sein. Mich persönlich überrascht diese Position weniger, weil Papst Franziskus immer wieder betont hat, dass Papst Johannes Paul II. bezüglich der Priesterinnenfrage die Tür zugemacht habe, dass das also entschieden sei. Nach meiner Einschätzung ist mit diesem Schreiben aber auch die Diakoninnen-Frage entschieden, weil Franziskus generell die Weihe als wesensfremd für die Frau erklärt.
Ein weiteres Thema, besonders für die Amazonas-Region, ist die Leitung von Gemeinden durch Laien. Sehen Sie da im Dokument einen Fortschritt?
Da greift er eine interessante Formulierung des Schlussdokuments der Synodenväter auf. Er bestätigt das, was längst seit Jahrzehnten Realität ist: dass es nämlich Laien als Gemeindeleiterinnen und -leiter gibt. Da sagt er, das sei fortzuführen. Dazu zitiert er in der Fußnote den berühmten Canon 517,2, der im Kirchenrecht die Situation vorsieht, dass es einem Bischof nicht möglich ist, auf längere Zeit einer Pfarrei einen eigenen Pfarrer zu geben. Damit steht im Text des Papstes das, was die Synodenväter aus der Praxis bestätigt haben: dass diese Gemeindeleiter – übrigens ein Begriff, den die Kleruskongregation 1997 verboten hat und den der Papst jetzt erlaubt – predigen und Wortgottesdienste halten dürfen und die seelsorglichen Ansprechpersonen sind. Sie dürfen auch taufen und beerdigen. Eucharistie, Krankensalbung, Sündenvergebung bleiben jedoch dem Priester vorbehalten, der das aber bitteschön nicht als Macht zu verstehen habe. Da kommt dann die bittersüße Metapher des Dienstes – aber das kennen wir ja zu Genüge.
All diese Themen sollen auch den Synodalen Weg prägen. Welche Konsequenzen hat das Papstschreiben für den Reformprozess?
Das wirft den Synodalen Weg weit zurück. Mit Blick auf drei der vier Themenbereiche – nämlich priesterliche Existenz, Macht und Frauen – wiederholt das Schreiben die überkommenen Antworten. Die Frauen in der katholischen Kirche, vor allem jene von „Maria 2.0“, haben Recht behalten: Die Kirche ist in diesen Fragen augenscheinlich nicht reformfähig, nicht reformwillig. Das wird eine große Enttäuschung auslösen.