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Dreimal sagt der Täufer Johannes "nein". Das Evangelium dieses Sonntags ist die Erzählung einer doppelten Macht-Verführung. Eine Ermutigung zum Erwachsen-Werden in dieser aktuellen Situation der Kirche, der Corona-Krise, des persönlichen Lebens, sagt Andreas Odenthal, Professor für Liturgiewissenschaft in Bonn, in seinem Zwischenruf.
Und dies ist das Zeugnis des Johannes, als die Juden von Jerusalem aus Priester und Leviten zu ihm sandten mit der Frage: Wer bist du? Er bekannte und leugnete nicht; er bekannte: Ich bin nicht der Christus. Sie fragten ihn: Was dann? Bist du Elija? Und er sagte: Ich bin es nicht. Bist du der Prophet? Er antwortete: Nein (Joh 1,19-21).
Das Volk mit seinen vielen unerfüllten Sehnsüchten und Erwartungen auf der einen Seite, Johannes der Täufer mit seiner abgesonderten asketischen Lebensweise auf der anderen Seite: Der Evangelist Johannes entwirft eine ambivalente, weil hochverführerische Situation. Der Täufer verführt mit den Besonderheiten seines Lebensstils das Volk dazu, ihre Projektionen auf ihn zu werfen: Jemand, der so lebt, muss der Messias selbst sein, und wenn nicht, dann wenigstens Elija.
Und das Volk verführt Johannes, bei den vorgeschlagenen Identifikationen zuzugreifen, die Macht zu ergreifen, die sie ihm anbieten: Als Publikumsliebling auf den Wogen der Sympathie zu schweben, weil er jetzt endlich dem Volk das Heil gibt, das es so sehr verlangt – bis dann irgendwann der Absturz kommen würde.
"Grenzen müssen her, und zwar deutliche"
Der Autor
Andreas Odenthal (* 1963) ist Priester des Erzbistums Köln und Professor für Liturgiewissenschaft an der Katholisch-Theologischen Fakultät der Universität Bonn. | Foto: Schafgans DGPh (pd)
Solche verführerischen Szenerien sind uns bekannt, aus Kirche und Politik um manche Führungspersönlichkeiten, aber nicht zuletzt auch aus unseren eigenen Beziehungen: Die Partnerin, der Partner möge für mich der Retter sein, mich doch endlich erlösen und mir die Liebe geben, die mir mein Leben lang gefehlt hat. Wer aber auf solchen Erwartungen eine Beziehung aufbauen wollte, würde auf lange Sicht scheitern.
Der Täufer Johannes weiß wohl um solche Zusammenhänge, er durchschaut die Gefahr dieser Szenerie. Grenzen müssen her, und zwar deutliche: Nein, ich bin es nicht, nein, auch der bin ich nicht, nach mir kommt der Entscheidende, der Messias selbst. Der Täufer hat so viel Selbststand, dass er die Enttäuschung der Menge angesichts der Realität und seine eigene Enttäuschung aushalten kann.
Eine neue Theologie des Dienstamtes
Man könnte fast eine Theologie des geistlichen Dienstamtes aus dieser Szenerie entwickeln: Das Nein steht an erster Stelle, das das Ich des Amtsträgers vom Anderen, Christus, unterscheidet. Klare Grenzen werden gesetzt, die die Menschen und die Amtsträger gegen eine Idealisierung schützen. Denn von den fehlenden Grenzen klerikalen Größenwahns bis zur Grenzverletzung sexuellen Missbrauchs sind es oft nur wenige Schritte, diese Lektion müssen wir immer noch bitter lernen.
Und wir müssen in dieser Kirche erwachsen werden, wenn wir das denn wollen, ein Leben lang. Eine Askese der Reifung ist angesagt: Nicht von diesem Bischof oder jenem Papst etwas zu erwarten, sondern von der eigenen Reifung in der Nachfolge Christi, die weiß, dass nicht „ich“ oder „der“ der Messias ist, sondern nur Christus selbst. Eine Askese der Grenze und des Verzichtes muss her: Verzicht darauf, schon hier und jetzt im Paradies zu leben.
Das jedenfalls mutet uns eine durch die Pandemie verseuchte Welt ebenso zu wie eine durch den sexuellen Missbrauch und dessen Vertuschung verseuchte Kirche.