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Ein Gutachten zum Umgang mit Missbrauchsfällen im Erzbistum Köln hat in 24 der 236 ausgewerteten Aktenvorgänge Pflichtverletzungen von Amtsträgern festgestellt. Belastet wird unter anderem der heutige Hamburger Erzbischof Stefan Heße, nicht dagegen der Kölner Kardinal Rainer Maria Woelki. Die wichtigsten Erkenntnisse im Überblick.
Ein Gutachten zum Umgang mit Missbrauchsfällen im Erzbistum Köln hat in 24 der 236 ausgewerteten Aktenvorgänge Pflichtverletzungen von Amtsträgern festgestellt. In 104 Vorgängen gebe es darüber hinaus Hinweise auf mögliche Pflichtverletzungen, sagte die Rechtsanwältin und Co-Autorin der Studie, Kerstin Stirner, bei deren Vorstellung.
Das Gutachten belastet unter anderem den Hamburger Erzbischof Stefan Heße (54), den Kölner Weihbischof und früheren Generalvikar Dominikus Schwaderlapp (53) und den früheren Kölner Generalvikar Norbert Feldhoff (81). Ihnen sowie den verstorbenen Erzbischöfen Joseph Höffner und Joachim Meisner attestiert die Anwaltskanzlei Gercke & Wollschläger zahlreiche Pflichtverletzungen im Umgang mit Missbrauchsfällen – gemessen am staatlichen und kirchlichen Recht sowie am kirchlichen Selbstverständnis.
Den amtierenden Kölner Erzbischof Rainer Maria Woelki (64) treffen laut Untersuchung keine Vorwürfe. Belastet wird dagegen der Leiter des Kölner Kirchengerichts, Günter Assenmacher (69), der in zwei Fällen unzutreffende Rechtsauskünfte gegeben haben soll.
Knapp zwei Drittel der Beschuldigten waren Kleriker
Für das Gutachten der Kanzlei Gercke & Wollschläger wurde laut Angaben die Zeit zwischen 1975 und 2018 untersucht. Es gab Übergriffe und Grenzverletzungen von insgesamt 202 Beschuldigten, davon mit 127 knapp zwei Drittel Kleriker. Die Zahl der Opfer beläuft sich auf 314, darunter 178 männliche und 119 weibliche. Bei 17 Opfern gab es keine Angabe zum Geschlecht. Bis auf einen Betroffenen waren alle unter 18 Jahre alt.
In den meisten der 254 Fälle, nämlich in 117, wurde der Verdacht nicht aufgeklärt, hieß es. In 45 habe sich der Verdacht bestätigt, in 15 ließ er sich entkräften. In 68 Fällen war der Beschuldigte bereits verstorben.
„Wir konnten nicht lückenlos aufklären“
112 von 314 Opfern berichten von Übergriffen vor 1975. 100 Opfer erlebten einen sexuellen Missbrauch, 48 weitere einen schweren sexuellen Missbrauch.
Der Strafrechtler Björn Gercke sagte, sein Team habe die Geschehnisse nicht lückenlos rekonstruieren können. „Wir haben erhebliche Mängel im Hinblick auf die Organisation des Aktenbestands sowie der Aktenführung im Erzbistum festgestellt.“
Meisner führte Akte über „Brüder im Nebel“
Zudem habe sein Team den Eindruck gewonnen, dass Aktenbestandteile fehlten. Vor allem einige ältere Akten seien handschriftlich geführt und zum Teil unleserlich. Im Laufe der Begutachtung seien auch mehrfach Unterlagen nachgereicht worden.
Gercke erklärte, der frühere Kölner Erzbischof Meisner habe zusätzlich zu den Beständen des Erzbistums einen eigenen Ordner mit Akten über „Brüder im Nebel“ geführt, „in dem er geheimhaltungsbedürftige Unterlagen aufbewahrt“ habe. Mindestens zweimal habe es Aktenvernichtungen gegeben, wie sie das kirchliche Recht jedoch vorschreibe. Die Gutachter hätten in diesen Fällen weitere Nachfragen bei verschiedenen Stellen des Erzbistums unternommen.
Hintergrund zum Gutachten
Das Gutachten wurde nach monatelanger Debatte vorgestellt. Erzbischof Rainer Maria Woelki hatte es erst im Oktober 2020 in Auftrag gegeben. Es handelt sich um die zweite Ausarbeitung für das Erzbistum. Ein erstes Gutachten der Münchner Kanzlei Westpfahl-Spilker-Wastl (WSW) wurde zunächst nicht wie vorgesehen veröffentlicht, weil Juristen und Woelki es für mangelhaft hielten.
Woelki und sein Generalvikar Markus Hofmann nahmen als Gäste an der Präsentation teil. Laut Erzbistum kannten sie den Inhalt des Gutachtens bislang nicht. Woelki will sich am 23. März zu Konsequenzen äußern.
Gutachten im Internet – und bei der Staatsanwaltschaft
Das komplette Gutachten soll gegen 13 Uhr auf der Internetseite des Erzbistums Köln veröffentlicht werden, nachdem zunächst der Betroffenenbeirat Einsicht erhalten hat. Ab dem 25. März sollen Betroffene, Journalisten und weitere Interessierte die Möglichkeit zur Lektüre auch des WSW-Gutachtens bekommen. Beide Untersuchungen liegen bereits der Staatsanwaltschaft vor.