Gremium des Bundes rät: Opfer anhören, Verantwortliche benennen

Kommission legt Empfehlungen zu Missbrauchs-Aufarbeitung vor

Die Unabhängige Kommission des Bundes zur Aufarbeitung von Missbrauch hat ihre Empfehlungen für die Aufklärung von sexuellem Missbrauch in Institutionen vorgelegt.

Anzeige

Fast zehn Jahre nach der öffentlichen Aufdeckung erster Missbrauchsfälle 2010 ist das Bedürfnis nach Aufarbeitung weiter groß. Die Institutionen suchten dabei bislang ihre eigenen Wege, weil Erfahrungen und Standards fehlten. Die katholische Kirche ließ eine große Studie erstellen, die evangelische hat jüngst Studien ausgeschrieben. Auch in Schulen und Sportvereinen sollte es mehr Aufklärung geben, ist die Unabhängige Kommission zur Aufarbeitung sexuellen Kindesmissbrauchs überzeugt. Sie präsentierte Empfehlungen für die Aufarbeitung.

Das rund 50-seitige Papier schildert aus Sicht der Experten, worauf Sportvereine, Kirchen oder Schulen bei der Aufarbeitung achten sollen. Grundlage der Empfehlungen waren vor allem Erkenntnisse aus Gesprächen mit Missbrauchsopfern.

 

„Aufarbeitung zentral für Prävention“

 

Jede Institution müsse erkennen, dass Aufarbeitung nicht nur mit der Bewältigung der Vergangenheit zu tun habe, sagte die Kommissionsvorsitzende Sabine Andresen. „Eine verborgene Gewaltgeschichte in einer Schule oder einem Verein wirkt in die Gegenwart hinein“, sagte sie. Aufarbeitung sei damit auch zentral für Prävention - überhaupt erst deren Voraussetzung. „Wir sehen es kritisch, wenn sich Institutionen primär der Prävention widmen“, sagte sie.

Erster Schritt eines gelungenen Aufarbeitungsprozesses ist nach Ansicht der Kommission ein sensibles Anhören der Opfer. „Betroffenenbeteiligung war oft genug eine sehr kalte, bürokratische Abwicklung von Meldungen“, sagte Kommissionsmitglied Heiner Keupp. Betroffene müssten den Prozess in allen Etappen begleiten.

 

Personalakten müssen zur Verfügung stehen

 

Bei der Aufarbeitung legt die Kommission Wert auf unabhängige Teams möglichst verschiedener Fachdisziplinen. Interessenkonflikte müssten vorher geklärt, Rechte der Aufarbeitungsteams in einem Vertrag festgehalten werden, erläuterte Kommissionsmitglied Brigitte Tilmann. Vor allem müsse vorher klar sein, dass den Aufklärern relevante Personalakten zur Verfügung stehen.

Bei der großen Studie zur Aufklärung von Missbrauch in der katholischen Kirche konnten die Forscher etwa nicht selbst in die Akten schauen. Die Kommission fordert das nun für die Zukunft: „Der Zugang zu Akten, Dokumenten sowie Aktenplänen wird garantiert“, heißt es in der in den Empfehlungen enthaltenen Checkliste, die Institutionen als Leitfaden für Aufarbeitung dienen soll.

 

Wie umgehen mit Tätern?

 

Auch auf juristische Schwierigkeiten weisen die Empfehlungen hin. Bei Opfern gebe es eine klare Erwartung, Täter namentlich zu nennen, erklärte Tilmann. Viele Taten seien aber nicht zur Verurteilung gekommen, könnten es wegen der Verjährung teilweise auch gar nicht mehr. Die Bezeichnung als „Täter“ müsse daher abgewogen werden, erklärte Tilmann. Dennoch plädiert die Kommission eher für den Begriff „Täter“. „Aufarbeitung, wie wir sie meinen, benennt konkrete Verantwortlichkeiten“, betonte Kommissionsmitglied Matthias Katsch.

Die beim Missbrauchsbeauftragten Johannes-Wilhelm Rörig angesiedelte Kommission wurde 2016 gegründet. Sie hat die Aufgabe, sexuellen Kindesmissbrauch vor allem durch die Anhörung von Betroffenen zu untersuchen.

Anzeige