LEITARTIKEL

Konklave-Beginn: Nicht nur für den neuen Papst kann sich alles ändern

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Franziskus hat das Papstamt massiv verändert. Was auf den neuen Papst zukommt – und auf uns. Ein Leitartikel von Chefredakteur Markus Nolte.

 

Es gibt eine kleine Kammer links unten neben dem Jüngsten Gericht von Michelangelo in der Sixtinischen Kapelle, die heißt „Sala delle lacrime“ – Raum der Tränen. Wer dort am Ende des Konklaves als purpurrot gekleideter Kardinal hineingeht, kommt definitiv als weißgewandeter Papst wieder heraus.

An irgendeiner Stelle dieser Wandlung wird klar, dass der Raum mehr ist als eine erstaunlich unprächtige Umkleidekabine. An einer Stelle dieser Metamorphose sieht der Name dieses Ortes Raum für Traurigkeit, Überwältigung, Angst, Abschied vor; Tränen der Freude über den Wahlerfolg indes sind in dieser Inszenierung nicht vorgesehen.

Passen Person und Amt?

Drei weiße Soutanen in drei Größen hängen dort drinnen auf einer banalen Kleiderstange – was den Eindruck erweckt, Person und Amt könnten ineinander passen. Jeder weiß, dass das nicht stimmt. Bei Benedikt XVI. lugten schwarze Ärmel aus dem Gewand, während er sich auf der machtvollen Segensloggia des Petersdoms als „demütiger Diener im Weinberg des Herrn“ vorstellte.

Bei Johannes XXIII. soll kein Muster seiner Leibesfülle entsprochen haben. Franziskus immerhin nahm zwar eines der Gewänder, ließ aber rote Samtmozzetta und Prachtstola hängen. Das Papsttum übersteigt nicht nur symbolisch doch jeden. Wohin wird es sich entwickeln? Wie wird der Neue es verkörpern?

Was wird der Neue sagen?

Seit dem franziskanischen Bildersturm 2013 sind dessen ersten Rituale umso sensibler, die Beobachter umso wacher, die erfüllten wie die ausbleibenden Gesten umso bedeutungsvoller. Franziskus hatte diese ersten Minuten, Stunden, Tage seines Pontifikats genutzt, um – in seiner Wahrnehmung – aufs Wesentliche zurückzukommen. Statt metaphernreich vom Weinberg des Herrn zu sprechen, begrüßte er der die Millionen Menschen auf dem Petersplatz und an den Bildschirmen weltweit mit einem prosaischen „Guten Abend“.

Nicht er war da zuerst der Segnende – das erst am Ende seines Pontifikats, einen Tag vor seinem Tod. Sondern er war damals der, der um das Gebet für ihn als Bischof von Rom bat. Nicht das Volk Gottes ging auf die Knie, um den Segen des Papstes zu empfangen – er verbeugte sich zum Gebet, zum Empfangen. – Was wird der Neue sagen? Mit welchen Worten wird er sich vorstellen? Wie soll er da er sein? Ähnlich demütig und freundlich oder am Ritus orientiert, seiner Sache sicher?

Wo wird der Neue wohnen?

Franziskus bezog nicht die traditionelle Papstwohnung im Apostolischen Palast hoch oben überm Petersplatz, sondern zog ins Gästehaus. Wo wird der Neue leben wollen? Kann er nach so viel Protzprotest einfach zurückkehren, heute, in den Renaissance-Palast? Geht das jetzt noch?

Sollte er es nicht einfach auch können, weil der Neue kein zweiter Franziskus sein kann, sondern Papst nach seiner Façon sein muss? Doch was würde das aussagen? Schluss mit der franziskanischen Bescheidenheit – zurück zur päpstlichen Potenz?

Bescheidenheitsklimax zu toppen?

 

Jenseits dieser zweifelsohne gewichtigen Äußerlichkeiten: Welchen Namen wird der Neue annehmen? Kann die Bescheidenheitsklimax eines Franziskuspapstes getoppt werden? Überhaupt: Wenn doch keiner der Kardinäle damit rechnen darf, als Papst das Konklave zu verlassen – wie kann es sein, dass der Gewählte nur wenige Momente nach seiner Wahl wissen muss, wie er genannt werden will? Sollte sich da nicht jeder zuvor kundig gemacht haben?

Und welcher Name wird es jetzt sein? Franziskus II. ganz sicher nicht, sagen viele, wohl zu Recht. Johannes Paul II. folgte nur deshalb direkt auf Johannes Paul I., damit dessen Kurz-Pontifikat nicht einfach im Gewoge der Kirchengeschichte verschwindet, soll der Wojtyła-Papst seine Namenswahl begründet haben. Beide ehrten ihre Vorgänger, die Konzilspäpste Johannes XXIII. und Paul VI., Benedikt XVI. steht eher für Restauration und hohe Theologie.

Pius XIII. und Netflix

Auf Pius XII., den nicht unumstrittenen Papst von Nazizeit und Weltkrieg, folgt in der seit Monaten weltweit gestreamten Netflix-Serie „Der junge Papst“ ein überheblicher, narzisstischer Pius XIII., während der andere Kinohit „Konklave“ einen ähnlich speziellen Papst sich „Innozenz“, der „Unschuldige“, nennen lässt; wenn das schon bei den 13 vor ihm an demütiger Überheblichkeit kaum zu überbieten war – heute wäre der Name schlichtweg verbrannt.

Fakt ist, dass in jenem einsamen Moment in der Sala delle lacrime sich alles ändert. Nicht nur für den Neuen, der nach der Stille des Tränenraums ab sofort nur noch im Geschrei der Welt stehen wird. Auch für die Kirche auf allen Kontinenten kann sich einiges ändern, bis hierhin nach Deutschland. Es hängt vieles, wenn nicht alles am Papst.

Entscheidende Fragen

Ob das Projekt Synodalität weitergeführt wird oder im Papierkorb verschwindet. Ob die Anliegen des Synodalen Wegs weiterverfolgt oder schlichtweg beendet werden. Ob der Mut zur Autorität der Bescheidenheit einen weiteren Träger findet oder hinterm Pochen auf die Autorität des Amtes untergeht. Ob die Lehre wieder das Leben zu dominieren versucht und das Leben aus der Kirche verschwindet. Ob die Kirche in Recht und Ordnung sich zu gebärden versucht oder sich als Werkzeug eines Evangeliums des Friedens versteht, mit allen politischen Konnotationen. Ob der Papst über all das befindet, weil er über all das zu befinden die Macht hat, oder ob er die Diskussion darüber weiterführt, wie Macht und Dienst glaubwürdig und zeitgemäß lebbar sind.

All das entscheidet sich in diesen Tagen – und noch ist nicht ausgemacht, ob es einen Raum für Tränen des Abschieds oder der Freude braucht. Aber es zeigt, welche Bürde, welche Verantwortung auf 133 Männern im Konklave und einem künftig allein in Rom liegt. Anders gesagt: welche Macht.

Alle Informationen zur Papstwahl finden Sie in unserem Konklave-Ticker.

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