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Der „Kardinal-O-Mat“: Spielzeug mit obskurem US-Hintergrund

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Vor dem Konklave ist er in aller Munde. Doch ein genauerer Blick zeigt: So harmlos wie er tut, ist er nicht. Das zeigt eine Kirche+Leben-Recherche. 

Wer wird der Nachfolger von Papst Franziskus? Es dürfte ein zum Priester geweihter Mann werden. So viel ist sicher. Aber damit enden die Gewissheiten. Selbst eingefleischte Vaticanisti sind nicht mit allen möglichen Kandidaten vertraut. Wer mit der katholischen Kirche nicht mehr allzu viel zu tun hat, fremdelt ohnehin mit dem Prozedere. 

Da kommt der sogenannte „Kardinal-O-Mat“ gerade recht: Mit welchem der Papabili habe ich die größten inhaltlichen Übereinstimmungen? Unverkennbar nimmt sich die Internetanwendung den „Wahl-O-Mat“ der Bundeszentrale für politische Bildung zum Vorbild. Dieser soll Wählern unter anderem die Entscheidung bei Bundestagswahlen erleichtern. Inzwischen haben viele säkulare Medien über den „Kardinal-O-Mat“ berichtet, allerdings ohne auf die genauen Hintergründe der Anwendung einzugehen.

Zehn Fragen beantworten

Ähnlich wie sein Vorbild will der „Kardinal-O-Mat“ keine Wahlempfehlung geben – und kann es auch kaum. Lakonisch heißt es dazu auf der Startseite: „Die Chancen stehen ohnehin nicht sehr gut, dass Sie wahlberechtigt sind.“

Wer trotzdem sein Glück versuchen will, muss zehn Fragen mit „stimme zu“, „neutral“ oder „stimme nicht zu“ beantworten. Zur Abstimmung steht Drängendes: Der Diakonat der Frau, die Segnung gleichgeschlechtlicher Paare, der Pflichtzölibat, die Messe nach dem Missale Romanum von 1962, die Beziehungen des Heiligen Stuhls zur Volksrepublik China, Synodalität, Bewahrung der Schöpfung, künstliche Empfängnisverhütung, Kommunion für wiederverheiratete Geschiedene und die Haltung zum „Synodalen Weg“ in Deutschland.

Orientierungshilfe mit eindeutiger Tendenz

Bereits an dieser Stelle lassen einige Formulierungen aufmerken. Zum Beispiel ist die Rede davon, dass Papst Johannes Paul II. eine bestimmte „Tradition“ bezüglich des Diakonats der Frau festgeschrieben habe.

Die Messe nach dem Missale Romanum von 1962 wird als „vetus ordo“ („Alte Messe“) bezeichnet - das ist der Sprachgebrauch von Traditionalisten. Zuletzt werden die Benutzer gefragt, ob der Synodale Weg der katholischen Kirche in Deutschland „harsch kritisiert“ werden müsse.

Ranking von 22 Kardinälen

Wer die Fragen beantwortet hat, erhält ein Ranking von 22 ausgewählten Kardinälen. Diese sind nach prozentualer Übereinstimmung angeordnet. Die Spannbreite reicht von eher progressiv eingeschätzten Kirchenmännern wie Matteo Zuppi, dem Erzbischof von Bologna, bis hin zu als reaktionär geltenden Vertretern der Kurie wie Gerhard Ludwig Müller, dem ehemaligen Bischof von Regensburg und von Franziskus geschassten Präfekten der Glaubenskongregation.

Wer die unterschiedlichen Antworten der Papabili vergleichen will, kann das aber nicht innerhalb der Anwendung tun. Man wird auf die englischsprachige Seite „College of Cardinals Report“ weitergeleitet. Sie dient dem „Kardinal-O-Mat“ mit den zehn erwähnten Fragenkomplexen als „Datenquelle“.

Datenbasis stammt aus den USA

Der „Report“ gibt sich als Projekt eines „internationalen und unabhängigen Teams von Journalisten“ aus. Allerdings ist es mit der kirchenpolitischen Unabhängigkeit nicht weit her: Der „Report“ entstand unter anderem in Kooperation mit dem rechtskatholischen US-Verlag Sophia Institute Press, der auch das Franziskus-kritische „Crisis Magazine“ herausgibt. Das Projekt leiten die Vatikan-Journalisten Edward Pentin und Diana Montagna. 

Pentin ist Korrespondent für die US-amerikanische Zeitung „National Catholic Register“, die zum Mediennetzwerk „Eternal Word Television Network“ (EWTN) gehört. Papst Franziskus kritisierte EWTN 2021 im Gespräch mit slowakischen Jesuiten aufgrund zahlreicher Angriffe des Netzwerks auf seine Person als  „Werk des Teufels“. Montagna war in den vergangenen Jahren vor allem als Korrespondentin für die englische Zeitung „Catholic Herald“ tätig und hat mit dem deutsch-kasachischen Weihbischof Athanasius Schneider, einem scharfen Franziskus-Kritiker, einen Gesprächsband veröffentlicht.

Der „College of Cardinals Report“, auf dem der „Kardinal-O-Mat“ beruht, solle die Kardinäle bei ihrer Entscheidungsfindung unterstützen, heißt es auf der Internetseite. Diese Hilfe sei nötig, da Franziskus hauptsächlich Kardinäle aus der Peripherie ernannt hätte, die sich nicht kennen würden. Zusätzlich wolle das Projekt die Medien, die Gläubigen und die größere Öffentlichkeit über mögliche Kandidaten informieren.

Fragwürdige Zusammenstellung von Kardinälen

Dies geschieht jedoch nicht unparteiisch. Auch wenn behauptet wird, dass die Liste der 22 Papabili „in Abstimmung mit Vatikanexperten“ (die ungenannt bleiben) erstellt worden wäre, wirkt diese beliebig.

Neben auch von anderen Medien immer wieder genannten Kandidaten wie Erzbischof Jean-Marc Aveline aus Marseille finden sich Außenseiter wie der bereits genannte Gerhard Ludwig Müller. Der „Report“ zählt mit dem ehemaligen Genueser Erzbischof Angelo Bagnasco, dem ehemaligen Bischofspräfekten Marc Ouellet und dem ehemaligen Apostolischen Großpönitentiar Mauro Piacenza sogar Kardinäle zu den Papabili, die aufgrund ihres Alters gar nicht mehr wahlberechtigt sind. Andere hochgehandelte Kandidaten wie Peter Turkson, ghanaischer Kanzler von zwei Päpstlichen Akademien, fehlen hingegen.

Parteiliche Positionen

Diese Parteilichkeit setzt sich bei den referierten Positionen fort. Hinsichtlich des Diakonats der Frau behauptet der „Report“, dass Johannes Paul II. dieses mit dem Apostolischen Schreiben „Ordinatio Sacerdotalis“ von 1994 endgültig ausgeschlossen habe. Die Kirche könne nur getaufte Männer zu Diakonen, Priester oder Bischöfen weihen. Allerdings ist die kirchenrechtliche Verbindlichkeit dieses Briefes umstritten.

Zuletzt hatten sogar hochrangige Kardinäle wie Walter Kasper darauf hingewiesen, dass der Frauendiakonat „theologisch möglich und pastoral sinnvoll“ sei. Papst Franziskus selbst öffnete die Debatte immer wieder durch die Einberufung mehrerer Studienkommissionen. Bezeichnenderweise fehlt überdies eine Frage zum Umgang mit sexualisierter Gewalt und geistlichem Missbrauch in der Kirche.

„College of Cardinals Report“: Instrument der Einflussnahme

Schließlich werden als Belege für die Positionen der einzelnen Kardinäle jeweils Artikel angeführt. Aus diesen lässt sich aber nicht immer eine eindeutige Position ableiten. So wird behauptet, der Lateinische Patriarch von Jerusalem, Pierbattista Pizzaballa, habe sich gegen den Diakonat der Frau gestellt. In der Begründung ist jedoch zu lesen: „Kardinal Pizzaballa hat sich nicht zur Frage der Zulassung von Frauen zum Diakonat geäußert.“ Allerdings habe er in einem Interview gesagt, dass die bisherige Position der Kirche zu dieser Frage „Glaube, Geschichte und Tradition“ sei. Diese Aussage reicht den Verfassern als Beleg. Dass sich die Meinungen der Papabili im Fortgang des synodalen Prozesses noch verändern könnten, zieht der „Report“ gar nicht in Betracht.

Nicht einmal die Positionen der Papabili zu den zehn Fragekomplexen kann der „Report“ lückenlos dokumentieren. So finden sich beim Großmeister des Ritterordens vom Heiligen Grab zu Jerusalem, Fernando Filoni, einem ebenfalls wenig aussichtsreichen Kandidaten, zumeist Fragezeichen: „Wir konnten keine Belege dafür finden, dass der Kardinal diese Frage angesprochen hat.“

Der „Report“ steht damit auf wackligen Füßen. Eingedenk seiner kirchenpolitischen Tendenz liegt der Schluss nahe, dass es sich dabei weniger um eine objektive Entscheidungshilfe als um ein Instrument der Einflussnahme handelt. Der „Report“ soll einerseits die wählenden Kardinäle prägen und andererseits bestimmte Kandidaten in der Öffentlichkeit platzieren.

Kardinal-O-Mat: Doch nur ein Spaß?

Die Spur des „Kardinal-O-Mat“ führt jedenfalls nicht in rechtskatholische Kreise, sondern zum niedersächsischen Webentwickler Tim Kneisel alias „Imbecillus“ (lat. „schwächlich, kränklich“). Dieser sagte auf Anfrage von Kirche+Leben, dass er Atheist sei und „von keinem einzigen dieser Kardinäle vor gestern auch nur ein einziges Mal gehört“ habe.

Kneisel sei durch einen Bekannten auf den „College of Cardinals Report“ aufmerksam geworden. Er habe die Seite innerhalb von vier Stunden programmiert und nicht viel Zeit in die Quellenrecherche investiert. Die Anwendung sei ein „kleiner Gag“ für Freunde gewesen. Mit dem großen Interesse habe Kneisel nicht gerechnet.

Ergänzung vom 24. April, 19.30 Uhr: Inzwischen ist ein weiterer deutschsprachiger „Kardinal-O-Mat“ im Internet aufgetaucht. Auch dieser will keine Wahlempfehlung sein. Vielmehr solle der Benutzer die Anwendung „gerne allen Kardinälen, die Du kennst empfehlen“, heißt es auf der Seite. Der zweite „Kardinal-O-Mat“ fußt ebenfalls auf den Daten des „College of Cardinals Report“ sowie auf „Reuters, BBC, und Wikipedia“. Die zu beantwortenden Fragen wurden freier formuliert. Weiter ergänzten die Verantwortlichen zwei Fragen zum Umgang der Kirche mit der Corona-Pandemie und zum Umgang mit dem Islam. Auf welchen Aussagen von Kardinälen diese Fragen beruhen, ist trotz Quellenangabe unklar. Zusätzlich weicht die Liste der Papabili vom ersten „Kardinal-O-Mat“ und damit vom „College of Cardinals Report“ ab. So taucht der emeritierte Erzbischof von Mailand, Angelo Scola, auf - auch er ist aufgrund seines Alters nicht mehr wahlberechtigt. Dieser zweite „Kardinal-O-Mat“ sei eine „vorläufige Version“, heißt es auf der Startseite: „Die Anzahl der Thesen und Kardinäle wird voraussichtlich am Sonntag, 27. April 2025, erhöht.“ Wer für die zweite Anwendung verantwortlich zeichnet, ist bislang nicht bekannt. Die Internetseite weist jede Verbindung zum „College of Cardinals Report“ zurück und dankt lediglich der „HSG Zürich für Inspiration und Unterstützung“. Der Entwickler des ersten „Kardinal-O-Mat“ distanziert sich auf Anfrage von Kirche+Leben vom zweiten Projekt. Er könne nicht sagen, „wer oder was dahintersteckt“, so Kneisel.

 

Alle Informationen zur Papstwahl finden Sie in unserem Konklave-Ticker.

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