Chefredakteur Markus Nolte zum Beginn des Zweiten Vatikanischen Konzils vor 60 Jahren

Konzils-Jubiläum: Bitte Reformen statt Rührung!

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Vor 60 Jahren begann das Zweite Vatikanische Konzil. Chefredakteur Markus Nolte sieht, wie sehr es bis heute Zeitzeugen von damals begeistert. Doch das allein genügt angesichts der Herausforderungen heute nicht. Zumal im Unterschied zu damals etwas Entscheidendes fehlt.

Ach ja, 60 Jahre Konzil! Da bekommen immer noch viele feuchte Augen vor Rührung und Begeisterung über so viel Aufbruch, der damals in der Kirche möglich war. Nun, das könnte man heute gut auch wieder haben: In 60 Jahren hat sich ja doch das eine oder andere in Kirche und Welt getan – in ihrem Verhältnis zueinander allemal.

Zu klären wäre dringend einiges. Zum Beispiel: Wo die Kirche sich im Konzil klar für die Bereicherung durch wissenschaftliche Erkenntnisse geöffnet hat, pocht man in Rom heute doch wieder ungeniert auf fixe Lehre und Tradition. Wo die Kirche selber in den letzten Jahrzehnten für eine Gleichberechtigung von Frauen in den Gesellschaften und Kulturen der Welt geworben hat, sieht sie sich selber nicht in der Lage, sich ernsthaft mit guten theologischen Argumenten im eigenen Haus auseinanderzusetzen. Wo sich eine bis dahin triumphalistische und narzisstische Kirche im Konzil maßgeblich selber reflektiert und als Volk Gottes wiederentdeckt hat, traut sie sich heute nur zaghaft, Autorität, Macht und Amt in eine Zeit der Demokratie, Gleichberechtigung und Teilhabe zu buchstabieren.

Amtsstuben-Christentum gegen Reform-Sehnsucht

Es stimmt schon: Viele Konzilstexte sind nach wie vor nicht bis zuletzt umgesetzt. Das darf aber kein Argument dafür sein, heute notwendige Reformen zu vertagen!

Ein solches Amtsstuben-Christentum beleidigt die Sehnsucht vieler Katholikinnen und Katholiken nach einer Kirche, die gerade nicht um sich selbst kreist, sondern um Gott und die Menschen. Es beleidigt überdies die im Konzil formulierte Selbstdefinition, wonach die Kirche eine sich stets erneuernde ist.

Der Duft des Konzils

Der Konzilspapst Johannes XXIII. und jetzt Franziskus sind sich in vielerlei Hinsicht ähnlich, sogar ein wenig dem Aussehen nach. Mit der Wahl des jetzigen Papstes vor knapp zehn Jahren begann zweifellos eine Zeit des Aufatmens. Vieles, was heute gedacht, gesagt, diskutiert werden kann, war in den drei Jahrzehnten zuvor nicht mehr möglich.

Und Franziskus‘ Weltsynode riecht tatsächlich etwas nach einem neuen Konzil. Doch er scheint es bei Duftnoten zu belassen. Davon bekommt keiner feuchte Augen. Es sei denn vor Enttäuschung.

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