Anzeige
„Viele Kirchenleute haben nicht gelernt, offen, vernünftig und angemessen über Sexualität zu sprechen. Die rigide katholische Sexualmoral ist zum Teil ein Grund für den Missbrauch auch im Bistum Münster, über den wir alle so entsetzt sind.“ Das sagte Pfarrer Peter Kossen in seinem Statement bei einem Gesprächsabend seiner Pfarrei Seliger Niels Stensen in Lengerich im Kreis Steinfurt.
Rund 30 Gemeindemitglieder kamen in der Kirche St. Margareta zusammen, um über das Gutachten der Universität Münster zum Ausmaß des sexuellen Missbrauchs im Bistum Münster von 1945 bis 2020 zu sprechen. Die Ergebnisse der Studie stellte Pfarreiratsvorsitzender Daniel Narberhaus vor.
Sprachlosigkeit begünstigt Missbrauch
Gemeindemitglieder tauschten sich in einer Fragerunde zum Thema Missbrauch aus. | Foto: Johannes Bernard
Kossen hält Reformen in der Kirche für längst überfällig. Das Gutachten gebe Aufschlüsse, warum es so lange ein Tabu gewesen sei, über den Missbrauch zu sprechen: „Es wurde einfach in Kirchenkreisen nicht über Sexualität gesprochen. Hier gab es eine große Sprachlosigkeit, die auch in den Gemeinden vorherrschend war“, sagte der Seelsorger.
Diese Art von Sprachlosigkeit habe den Missbrauch zumindest begünstigt. „Statt offener Worte wurde gemunkelt. Über so etwas spricht man nicht, hieß es, wenn ein Priester unter Verdacht stand, Kindern gegenüber übergriffig gewesen zu sein.“
Auch Gemeinden haben geschwiegen
Ein prägnanter Satz von Gemeindemitgliedern sei bei ihm in Erinnerung geblieben: „Wir wussten, dass der Priester Missbrauch begangen hat, aber er hat immer gut gepredigt.“ Auch Gemeinden hätten geschwiegen oder wollten nichts vom Missbrauch wissen.
Aus den Ergebnissen des Gutachtens werde deutlich, dass nur ein geringer Teil der Missbrauchstäter eine pädophile Störung besessen habe. Den allermeisten Tätern werde dagegen eine „unreife Persönlichkeit“ bescheinigt. „Grundsätzlich muss also geklärt werden, was ein priesterlicher Lebensstil ist und wer zum Priester taugt“, meinte Kossen.
Frauen auf allen Ebenen notwendig
Klar ist für ihn, dass eine Beteiligung von Frauen auf allen Ebenen der Kirche notwendig ist: „Da setze ich auf den Synodalen Weg, der einiges auf den Weg bringen will.“
Als „böses Wort“ bezeichnete Kossen den von konservativer Seite vorgebrachten Satz vom „Missbrauch des Missbrauchs“: „Damit soll der Synodale Weg diskreditiert werden. Letztlich setzt man mit einer solchen Aussage die Vertuschung und die fehlende Aufklärungsarbeit fort.“
Sex galt als Todsünde
Pfarreiratsvorsitzender Daniel Narberhaus stellte die Ergebnisse des Gutachtens über den sexuellen Missbrauch im Bistum Münster in den Jahren 1945 bis 2020 vor. | Foto: Johannes Bernard
Wie sehr in früheren Jahrzehnten gläubige Menschen unter der Sexualmoral gelitten hätten, erläuterte ein älteres Gemeindemitglied: „Sex vor der Ehe galt als Todsünde. Ehebruch ebenfalls. Man durfte dann nicht zur Kommunion gehen. Und wer dann nicht zur Kommunion gegangen ist, dem sagte man gleich Verfehlungen nach“, beschrieb der Mann die Situation seiner Jugendzeit in den 1960er Jahren. Erst das Zweite Vatikanische Konzil habe dann einige „Lockerungen“ in der moralischen Bewertung gebracht.
Pfarreiratsvorsitzender Narberhaus versprach, Themen des Missbrauchs in der Kirche weiterzubehandeln: „Wo die Studie endet, findet die Aufarbeitung erst an“, sagte er.
Geschulte Präventionskräfte
In der Lengericher Pfarrei habe es wie in allen anderen Pfarreien des Bistums Münster Präventionsschulungen gegeben. Unterstützt werde diese Arbeit durch die Präventionsfachkraft Silvia Kessler. Die Pfarrei mit allen ihren Einrichtungen müsse für Kinder und Jugendliche ein sicherer Ort sein. Die Erkenntnisse aus dem Gutachten nehme man in den Alltag der Pfarrei mit.