Fachleute diskutieren auf Caritas-Einladung über Daseinsvorsorge

Kliniken, Pflege, Kitas: Experten sehen Sozialstaat vor Einschnitten

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Arbeitskräftemangel und der demografische Wandel rütteln an den Grundfesten des Sozialstaats. Was bleibt von ihm übrig? Die Caritas im Bistum Münster will Antworten.

Die Krankenhäuser in Nordrhein-Westfalen sollen sich künftig auf bestimmte Leistungen konzentrieren und nicht mehr alles anbieten. „Wir brauchen eine Krankenhausreform, damit die Gesundheitsversorgung garantiert bleibt“, sagte der nordrhein-westfälische Landesminister für Arbeit, Gesundheit und Soziales, Karl-Josef Laumann (CDU), bei einer Podiumsdiskussion des Diözesan-Caritasverbands Münster.

Einige Krankenhäuser müssten schließen, so Laumann. „Grundsatz der Krankenhausreform in Nordrhein-Westfalen ist aber, dass ein Krankenhaus mit internistischer und chirurgischer Versorgung für den allergrößten Teil der Bevölkerung innerhalb von 20 Autominuten erreichbar sein muss. Intensivmedizin muss flächendeckend vorgehalten werden.“

Krankenhausreform in Nordrhein-Westfalen

Das Gesundheitsministerium hatte wenige Stunden vor dem Gespräch bei der Caritas die Öffentlichkeit über Pläne informiert, welche Behandlungen die mehr als 300 Kliniken in NRW künftig anbieten sollen. Laumann hatte angekündigt, es müsse zu „teilweise sehr deutlichen Konzentrationen“ etwa bei komplexen medizinischen Behandlungen kommen.

Über die Versorgungssicherheit in Gesundheit und Sozialem sagte der Minister: „Wir brauchen eine verdammt starke Gesellschaft und stabile Wirtschaft, um das alles stemmen zu können.“ Nicht alle sozialen Standards könnten für die Zukunft garantiert werden.

Caritas sieht bereits Versorgungslücken

Der Diözesan-Caritasverband hatte zu einem Expertengespräch über die Zukunft der Daseinsfürsorge eingeladen. Der Verband befürchtet Einschnitte bei der Versorgungssicherheit und eine Abkehr von der Verteilungsgerechtigkeit.

Dominique Hopfenzitz, Caritasdirektor im NRW-Teil des Bistums Münster, sieht den Sozialstaat vor großen Herausforderungen: „Gerade bei jungen, pflegebedürftigen und kranken Menschen sowie Menschen mit besonderen Bedürfnissen sehen wir täglich, dass die Versorgung nicht oder nur teilweise gewährleistet werden kann.“

Problem Fachkräftemangel

Pflegebedürftige Menschen könnten vermehrt nicht durch professionelle Anbieter versorgt werden. Plätze in Kitas und Offenen Ganztagsschulen könnten nicht gewährleistet werden: „Aufgrund des zunehmenden Arbeitskräftemangels, des demografischen Wandels und des finanziellen Drucks in der Sozialwirtschaft müssen wir uns die Frage stellen, ob die soziale Versorgungssicherheit vieler Menschen in Gefahr ist“, sagte Hopfenzitz. Die Caritas als Träger sozialer Einrichtungen erwarte Antworten, wie und wo die Politik im Sozialbereich sparen wolle.

Der Direktor des Landschaftsverbands Westfalen-Lippe (LWL), Georg Lunemann, bezeichnete den Fachkräftemangel als größte Herausforderung. Es fehlten schon jetzt in großem Maß Arbeitskräfte im erzieherischen und pflegerischen Bereich. Dass Kitas Öffnungszeiten einschränkten oder gar schlössen, sei ein Alarmzeichen. Dass Mitarbeitende in der Pflege am Mittwoch nicht wüssten, ob sie am Wochenende arbeiten müssten, sei mittlerweile leider Realität.

LWL-Direktor fordert allgemeine Dienstpflicht

Lunemann sprach sich für eine allgemeine Dienstpflicht und ein Gesellschaftsjahr aus: „Junge Menschen lernen so den sozialen Bereich kennen und wertschätzen. Das gibt Orientierung bei der Berufswahl." Lunemann warnte zugleich vor Panikmache in der Sozialstaats-Debatte: „In Nordrhein-Westfalen haben wir ein gutes soziales System. Wir sollten nicht nur schimpfen, wenn nicht alle Leistungen wie gewohnt erbracht werden können.“

Erschreckend sei allerdings der hohe Anteil junger Menschen ohne Berufsausbildung: „Da müssen wir ansetzen. Es kann nicht sein, dass in Deutschland drei Millionen Menschen im Alter von 20 bis 34 Jahren keinen Berufsabschluss haben“, sagte der LWL-Direktor.

Problem Bürokratie

Thomas Schlickum, Vorstand des Caritasverbands für die Stadt Münster, erwartet von der Politik „mehr Ehrlichkeit“ und verbindliche Leistungsversprechen, mit denen Träger sozialer Einrichtungen und Dienste auf längere Sicht arbeiten können: „Das Wichtigste ist eine gute Versorgung für alle Menschen. Die Bürokratie muss auf ein Mindestmaß zurückgeführt werden. Eine Absenkung der Qualitätsstandards müssen wir wohl in Kauf nehmen.“

Paul Gross von der „Frankfurter Allgemeinen Zeitung“ erwartet in den nächsten Jahren Verteilungskämpfe und harte Debatten um den Sozialstaat: „Der Pflegenotstand ist bereits da, die Versorgungssicherheit nicht mehr überall gegeben. Hinzu kommt der demografische Wandel. Zur Ehrlichkeit gehört die Frage, was den Menschen heute zugemutet werden kann.“

Caritas-Direktor Hopfenzitz wertete das Gespräch als guten Anfang über die Zukunft der Daseinsfürsorge zu sprechen: „Wer sagt es schließlich den Menschen, wenn soziale Standards nicht wie gewohnt finanziert oder angeboten werden können?“

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